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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Von Stehern und Umfallern

12. Mai 2021

Neulich schlug ich die Zeitung auf und las: „Finnland soll das Land der Steher werden“. Moment, dachte ich. Das Land der Steher ist ja wohl Deutschland. Und gibt es in Finnland überhaupt Galopprennen? Es stellte sich heraus, dass etwas ganz anderes gemeint war. Die Finnen sollen aus gesundheitlichen Gründen alltägliche Dinge wie Essen, Lesen, Fernsehen oder Kaffeetrinken häufiger im Stehen erledigen. Das kam mir dann plausibel vor und ich verstand mit einem Male auch, warum meine Apple Watch mich nahezu täglich mit der Meldung „Du hast dein Stehziel erreicht“ so seltsam lobt. Danach fiel mir noch ein, dass „Steher“ in Österreich eine noch ganz andere Bedeutung hat, als es einen Verdächtigen bezeichnet, der – im Gegensatz zum „Umfaller“ – bei polizeilichen Verhören beharrlich schweigt. Dagegen ist der „Steher“, der auf seinem Motorrad Schrittmacherdienste für den Radrennfahrer macht, heute nahezu vergessen.

Auch im Galopprennsport sind die extremen Steherrennen, da muss man sich nichts vormachen, schon seit langem auf dem Rückzug. Auf der Rennbahn hat man sie noch ganz gern (siehe Yeats und Stradivarius), in der Zucht aber werden sie von den kommerziellen Züchtern gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Der in seinem Umfang doch recht beschränkte deutsche Rennsport hält für die „normalen“ Steher (2200m bis 2400m) mit 13 Grupperennen (davon fünf der Gruppe 1) zwar immer noch ein beachtliches Angebot bereit, für die Extremsteher gibt es auf Gruppe-Level aber nur das Oleander-Rennen und das Deutsche St. Leger. Das Oleander-Rennen, mit großzügiger Unterstützung der Comer Group International am Sonntag in Hoppegarten zum 50. Male gelaufen, liegt dabei nach Durchschnitts-Rating für die ersten vier Pferde in den letzten drei Jahren mit 106,83 (ca. 93,5 kg) knapp vor dem St. Leger (105,17=ca. 92,5 kg). In der Siegerliste dieses bis 2011 in Baden-Baden gelaufenen Rennens findet man viele klangvolle Namen, allen voran den dreifachen Sieger Altano und die Doppelsieger Sarto, Donat, Camp David, Solo Mio, Bussoni und Tres Rock Danon.

In diese Klasse muss der diesjährige Sieger Rip Van Lips erst noch reinwachsen. Weitere Reserven darf aber man vermuten, da er aus gesundheitlichen Gründen die Dreijährigensaison komplett auslassen musste und bei bisher 12 Starts noch relativ wenig Meilen auf dem Konto hat. Es machte durchaus Eindruck, wie er am Sonntag aus dem Vordertreffen heraus in der Geraden das Kommando übernahm und ungefährdet nach Hause kam. Gewiß – die europäische Elite war nicht am Start, eine Rechnung über die zuverlässige Memphis auf dem zweiten Platz ergibt für Rip Van Lips eine neue Marke von 93,5 kg (Rating 107). Das hält sich im Rahmen dessen, was die Sieger der letzten sechs Jahre bekommen haben. Für eine Platzierung, geschweige denn für einen Sieg im Ascot Gold Cup, für den er eine Nennung hat, wird das noch nicht reichen. Bisher sind drei Pferde aus deutschen Rennställen unmittelbar nach ihrem Sieg im Oleander-Rennen auch im Gold Cup gelaufen. Altano hat es zweimal versucht. Beim ersten Mal trat er mit einer Marke von 96 kg an und wurde Fünfter, beim zweiten Mal reichten sogar 98,5 kg nur zu einem Siebten Platz. Als Camp David 1997 Zehnter wurde stand er bei einem GAG von 95 kg, Wasir (93,5 kg) wurde vor fünf Jahren Elfter. Eine Alternative zu Ascot wäre der Belmont Gold Cup am 4. Juni in New York, für das der Sieger im Oleander-Rennen seit 2017 eine Einladung erhält. Zweimal wurde diese Option bisher wahrgenommen, Red Cardinal hat 2017 gewonnen, Raa Atoll wurde 2019 Sechster.

* * *

Japanische Pferde tragen manchmal deutsche Namen, wobei diese Namen häufig keinen rechten Sinn ergeben. Unter den besseren japanischen Pferden, die zuletzt in Grupperennen gelaufen sind, findet man zum Beispiel eine Schon Glanz, deren Mutter die Monsun-Tochter Stacelita ist. Gut finde ich auch Schwarz Riese, was ein Kaninchen sein könnte, tatsächlich aber ein fünfjähriger Hengst aus der Karlshofer Diana-Zweiten Soberania ist. Originell klingen auch Namen wie Rhein Schneider und Rosen Krieger. Es gibt aber auch Pferde mit weniger fantasievollen Namen wie Entscheiden, Angreifen, Glänzend oder Beruf. Zu den besseren Pferden in Japan zählt mit einem aktuellen Rating von 114 (97 kg) Weltreisende, ein Sohn der Acatenango-Tochter und Diana-Dritten Mandela. Ich habe meinen japanischen Handicapper-Kollegen einmal nach dem Grund für derartige Namen gefragt und er sagte mir, dass deutsche Wörter für japanische Ohren oft besonders wohlklingend sind.

In die Kategorie der wunderlichen Namen gehört jetzt auch Schnell Meister, der am Sonntag in Tokio die zur Gruppe 1 zählende und mit 822.000 Euro für den Sieger ausgestattete NHK Mile gewonnen hat. Der Dreijährige Kingman-Sohn ist das erste Fohlen der Serienholde, die 2016 mit Andrasch Starke den Henkel-Preis der Diana gewonnen hat und wenig später vom Gestüt Wittekindshof an die Yoshida-Familie verkauft wurde. Es war für Schnell Meister der dritte Sieg beim vierten Start, seine Handicapmerke dürfte jetzt bei 115 (97,5 kg) liegen. Serienholde war nach Mystic Lips, Night Magic, Enora, Salomina, Feodora und Turfdonna die siebte Diana-Siegerin, die zwischen 2007 und 2016 den Weg nach Japan gefunden hat. Obwohl einige von ihnen noch am Anfang ihrer Zuchtlaufbahn stehen, gibt es schon erstaunliche Erfolge zu vermelden. Vor allem die vom Gestüt Bona gezogene Salomina ist groß eingeschlagen. Ihr Sohn Salios gewann im Vorjahr zwei Gruppe 1-Rennen und war Zweiter zu Contrail im Japanischen Derby. Seine ältere Schwester Salacia hatte ihren Formhöhepunkt, als sie im Dezember im Arima Kinen auf Gruppe 1-Ebene Zweite wurde. Beide Salomina-Kinder brachten es auf ein Rating von 119 (99,5 kg). Die Auenquellerin Turfdonna, die Diana-Siegerin von 2015, hat mit ihrem Erstling Elizabeth Tower aktuell eine Gruppe 2-Siegerin auf der Bahn. Die Kingman-Tochter war im März Halbsiegerin im Tulip Sho, einem Trial für die japanischen 1000 Guineas, wo sie dann allerdings keine Rolle spielte.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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