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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Letzte Chancen

14. Juli 2021

„Die letzte Chance“ heißt ein antifaschistischer Film des DDR-Fernsehfunks aus dem Jahre 1962, in dem der große Armin Mueller-Stahl einen Pianisten auf der Suche nach Gerechtigkeit spielt, in Nebenrollen kann man Eva-Maria Hagen und Katharina Thalbach sehen. Eine letzte Chance gab es am Sonntag auch für die dreijährigen Stuten, sich im Mülheimer BBAG Diana Trial noch ein Ticket für den 163. Henkel Preis der Diana zu sichern.

Ein allerletzter Versuch soll dann am morgigen Donnerstag noch mit Waldbiene in einem Classe 2-Rennen in Chantilly unternommen werden, also mit jener Stute, die kürzlich für den Ehrenbürger der Stadt Düsseldorf, Albrecht Woeste, ein Debütantinnenrennen in Compiegne gewonnen hat und die auf der Suche nach einer möglichst hohen Handicapmarke ist. Ungefähr 85 Kilo werden verlangt, um noch ins Feld zu kommen. Diese Hürde hat Alaskasonne am Sonntag bei ihrem etwas überraschenden, aber umso deutlicheren Sieg locker genommen, so dass man annehmen darf, dass man sie in zweieinhalb Wochen auch in dem 500.000-Euro-Galopp in Düsseldorf am Ablauf sehen wird. Es war immerhin schon ihr dritter Sieg, auf höherem Parkett, im Preis der Winterkönigin und im Diana-Trial von Hoppegarten, hatte es noch nicht gereicht. Jetzt aber ist der Knoten bei ihr geplatzt, kam sie doch vom Start bis ins Ziel führend 4 ½ Längen vor der Konkurrenz ein. 90 Kilo war das wert, gerechnet über die Favoritin Kolossal, die Dritte wurde.

Die fünf entscheidenden Rennen auf dem Weg zum Henkel-Preis der Diana, zwei Gruppe- und drei Listenrennen, sind nun also gelaufen und man kann sich langsam eine ungefähre Vorstellung vom Starterfeld machen. Da nur 16 Startplätze zur Verfügung stehen, kann es auch hier – wie schon im Derby – für einige Kandidaten eng werden. Wir haben daher vorsorglich schon einmal eine Rangliste aufgestellt, um einen Überblick zu ermöglichen (hier klicken). 

Die Liste enthält naturgemäß noch einige Fragezeichen, was besonders für die in Frankreich trainierte Es la Vida gilt und für Sconset, die für 50.000 Euro nachgenannt werden müsste. Auch die Teilnahme eines der englisch/irischen Pferde Oodnadatta (GAG 93 kg), Dubai Fountain (92 kg) und Sea Karat (88,5 kg) scheint noch möglich, wenn auch unwahrscheinlich, wie auch eine Nachnennung aus einem dieser Länder.

Was Sconset angeht, so ergeben sich verblüffende Parallelen zu Durance, die vor zwei Jahren – wie möglicherweise jetzt Sconset – auch erst mittels eines finanziellen Gewaltaktes ins Feld kam (und Dritte wurde). Beide haben nicht nur denselben Züchter und Besitzer (Gestüt Ebbesloh), beide haben auch die Hamburger Mehl-Mülhens-Trophy und davor ein Listenrennen gewonnen und für ihre Siege mit 93 kg für das Grupperennen und 88 kg für den Listensieg identische Marken bekommen. Für Durance reichten die 93 kg für die Programmnummer zwei, Sconset stünde derzeit auf Rang drei.

 

* * *

Es gibt nur wenige Pferde auf der Welt, die sich ihren unvergänglichen Ruhm durch den Sieg in einem einzigen Rennen erworben haben. In einer Sternstunde, sozusagen. Dazu zählt an vorderster Stelle der Fuchshengst Arazi, ein 1989 geborener Sohn von Blushing Groom aus einer Northern Dancer-Stute. Der Hype, den dieses Pferd auslöste, war grenzenlos, vor allem in Amerika, wo das Rennen, das ihn unsterblich machte, am 2. November 1991 auf der Rennbahn von Churchill Downs gelaufen wurde. Es war das Breeders' Cup Juvenile, das schon vorab eine Sensation war, weil es zu einem Kräftemessen zwischen den besten amerikanischen Zweijährigen und den in Frankreich trainierten Arazi kam, den weitaus besten Zweijährigen, den Europa seit langem gesehen hatte. Sechs Mal hatte er überlegen gewonnen, darunter mit Prix Robert Papin, Prix Morny, Prix de la Salamandre und Grand Criterium die vier größten Zweijährigenrennen Frankreichs, lediglich beim Debüt war er nur Zweiter geworden. Man kann den Eindruck, den Arazi an diesem Novembertag des Jahres 1991 in Kentucky bei seinem ersten Start auf Sand auf die Rennsportwelt gemacht hat, nur schwer in Worte fassen. Nach halber Strecke machte ihn der Rennkommentator noch ein Dutzend Längen hinter den Führenden an vorletzter Stelle aus, bevor plötzlich sein Aufschrei „Arazi!!!“ über die Rennbahn schallte, als der favorisierte Hengst im Schlußbogen mit unwirklich anmutender Beschleunigung durch das Feld glitt, schon mit der Führung in die Gerade kam und diese bis zum Ziel noch deutlich ausbaute. Der Zielrichter war von dem Geschehen so in Anspruch genommen, dass er den Vorsprung zunächst auf 6 ¼ Längen bemaß, sich später auf 4 ½ Längen berichtigte, bis nach abermaliger Korrektur 5 Längen festgesetzt wurden. In der International Classification bekam Arazi die für einen Zweijährigen enorme Marke von 130 (105 kg), „Timeform“ billigte ihm sogar 135 (107,5 kg) zu. (Klick zum Rennen) Die Amerikaner verglichen ihn mit Secretariat und mit dem legendären Silky Sullivan aus den späten 1950er-Jahren, dessen spektakuläre Aufholjagden in Amerika auch über den sportlichen Horizont hinaus sprichwörtlich geworden sind für einen Sieg aus schier aussichtsloser Position. (Klick zum Rennen – Sieg nach 41 Längen Rückstand)

Natürlich war Arazi über Winter klarer Favorit für das Kentucky Derby, aber Francois Boutin, ein Trainer der alten Schule, war wenig amüsiert darüber, dass man von ihm nun verlangte, regelmäßig Bericht zu geben über die täglichen Trainingseinheiten seines Wunderpferdes, und auch nicht darüber, dass an Arazi vier Tage nach dem Breeders´ Cup eine Knieoperation vorgenommen worden war, um Knochensplitter zu entfernen. Für Gesprächsstoff sorgte auch die Frage, ob Arazi nach dem Sieg im Kentucky Derby, der schon als selbstverständlich vorausgesetzt wurde, in Amerika bleiben und die Triple Crown in Angriff nehmen oder ob er danach das Epsom Derby bestreiten sollte, um ein Doppel zu schaffen, das zuvor mit keinem Pferd auch nur versucht worden war. Wie weit auch Mitbesitzer Allan Paulson (der vor dem Breeders´ Cup eine Hälfte an Scheich Mohammad verkauft hatte) von der Wirklichkeit entfernt war, zeigt auch seine Antwort auf die ihm gestellte Frage, ob Arazi das beste Pferd sei, das er besessen habe: „Es ist das beste Pferd, das irgendeiner irgendwann besessen hat.“

Arazi erschien am 7. April 1992 in dem als Listenrennen geführten Prix Omnium in Saint-Cloud wieder auf der Rennbahn und gewann überlegen. Im Kentucky Derby versuchte Jockey Pat Valenzuela auf dem 19:10-Favoriten eine Kopie des Breeders´ Cup, steuerte sein Pferd im Schlußbogen vom 17. Platz kommend in achter Spur auf den dritten Platz – und war geschlagen. Im Ziel Achter. Arazi lief danach als ein auf normales Maß gestutztes Pferd noch vier Mal und konnte dabei noch ein Rennen gewinnen, den Prix du Rond-Point am Arc-Tag in Longchamp. Das reichte, um in seinem letzten Rennen in der Breeders´ Cup Mile als 25:10-Favorit an den Start zu gehen, wo er nur drei Pferde hinter sich lassen konnte. Drei Wochen danach verließ er den Rennstall und begann seine Deckhengsttätigkeit im Dalham Hall Stud zu einer Decktaxe von 20.000 Pfund. Was folgte war eine nicht mehr als durchschnittliche Deckhengstkarriere mit weiteren Stationen in Amerika, Japan, der Schweiz und Australien. Dort ist er nun im Alter von 32 Jahren eingegangen, friedlich, wie es heißt. Die Erinnerung an seinen größten Sieg aber wird überdauern.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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