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er damalige Feuilletonchef der Wochenzeitung „Die Zeit“, Fritz J. Raddatz, schrieb in den 1980er-Jahren einmal Johann Wolfgang von Goethe ein in ironischer Absicht erfundenes Zitat über den Frankfurter Bahnhof ernsthaft zu. Dummerweise war Goethe schon drei Jahre tot, bevor im Dezember 1835 die erste Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth fuhr. Da Raddatz gerne jedem besserwisserisch seine Unbildung vorwarf und dementsprechend unbeliebt war, wurde er daraufhin zum Abschuss freigegeben. Auch der „Sport-Welt“ verunglückte einmal ein Goethe-Vergleich, als sie behauptete, Goethe habe noch gelebt, als am 18. Juni 1834 das erste Union-Rennen gelaufen wurde. Da bei der „Sport-Welt“ aber Niemandem ein besserwisserischer Umgang mit Bildung vorgeworfen werden konnte, blieb dies ohne Folgen.
Diese Vorfälle geben eine gute Vorstellung davon, in welch tiefer Vergangenheit die Anfänge des Oppenheim-Union-Rennens liegen. Am vorigen Sonntag wurde es zum 182. Mal entschieden, und das erstaunlichste dabei ist, dass sowohl der Termin als auch der Charakter des Rennens als herausragende Prüfung für Dreijährige immer gleich geblieben sind. Nebenbei dürfte es überhaupt das älteste heute noch existierende Sportereignis Deutschlands sein. In die lange Siegerliste hat sich nun Colomano eingetragen - keine Überraschung, er gehörte zu den Favoriten. Einige Male, besonders im Preis des Winterfavoriten und im Busch-Memorial, stellten sich ihm während des Rennens ernsthafte Verkehrsprobleme entgegen, ansonsten würden sich die Platzierungen bei seinen bisher fünf Starts noch besser lesen als ohnehin. Statt 2-5-1-4-1 wahrscheinlich 2-2-1-2-1. Die beiden Einsen stehen für Siege im Ratibor-Rennen und Oppenheim-Union-Rennen, er ist also bereits zweifacher Gruppesieger. Er weist damit ein ähnliches Profil auf, wie im Vorjahr Isfahan, der bei ebenfalls fünf Starts vor dem Derby den Winterfavoriten und das Bavarian Classic gewonnen hatte.
Ich bin zuletzt einige Male gefragt worden, was ich denn von der Qualität des Derbyjahrgangs halte. Nun – Anlass für Begeisterungsstürme gab es bisher nicht, ebenso wenig aber Grund für ernsthafte Besorgnis. Die zuletzt zu beobachtende leichte Eintrübung beim Blick aufs Derby hat sich nach diesem Union-Rennen wieder etwas aufgehellt. Das Rennen war zügig und korrekt gelaufen und am Ende waren die „Richtigen“ vorne, wenn auch vielleicht nicht unbedingt in der von den meisten erwarteten Reihenfolge. Beim Sieger imponierte die Fähigkeit zur Beschleunigung vom Ende des Feldes, beim Zweitplatzierten Windstoß der unbedingte Einsatzwille nach langer Führung. Das Tempo steigerte sich dabei kontinuierlich, am Ende kam mit 2:14,44 Minuten für die 2200 Meter eine ganz beachtliche Zeit heraus, die siebtschnellste überhaupt. (Den Rekord mit 2:13,0 hält Kornado, einer der Besten des Super-Derbyjahrgangs von 1993.) Aber die Erfahrung aus dem Union-Rennen lehrt, dass auch die auf den weiteren Plätzen einkommenden Pferde im Derby eine gute Chance haben, in diesem Fall also vor allem Northsea Star und Warring State. Denn im Grunde sind alle Rennen vor dem Derby nur Proben, wobei das Union-Rennen die Generalprobe darstellt. Das Stück aber wird in Hamburg aufgeführt, am 2. Juli.
Wenn jetzt keine bedeutende Nachnennung mehr kommt, wird Colomano mit der Nummer 1 auf der Satteldecke zum Derbystart galoppieren, denn für den Union-Sieg haben wir ihm eine vorläufige Marke von 96 kg (Rating 112) gegeben. So viel, wie Boscaccio im Vorjahr, aber mehr als Shimrano (94,5) und weniger als Sea The Moon und Novellist (jeweils 97 kg) und auch Ivanhowe (96,5). Die neue Reihenfolge der noch im Derby verbliebenen Pferde mit GAG steht in der nachfolgenden Tabelle.
Nach GAG – Stand: 14.6.2017
(Nur in Deutschland trainierte Pferde)
Nr. | Name | GAG |
---|---|---|
1 | Colomano | 96,0 |
2 | Windstoß | 95,5 |
3 | Langtang | 94,5 |
4 | Northsea Star | 94,0 |
5 | Warring States | 94,0 |
6 | Enjoy Vijay | 93,5 |
7 | Monreal | 92,0 |
8 | Kastano | 91,0 |
9 | Fulminato | 91,0 |
10 | Ming Jung | 90,0 |
11 | Nerud | 89,0 |
12 | Shanjo | 89,0 |
13 | Instigator | 88,0 |
14 | Shinzaro | 85,0 |
15 | Amun | 84,0 |
16 | Parviz | 83,5 |
17 | Sargas | 81,0 |
18 | Rosenpurpur | 80,0 |
19 | Oriental Khan | 79,0 |
20 | Royal Flag | 79,0 |
21 | Navajo | 75,0 |
22 | Promise of Peace | 73,0 |
23 | Gepard | 72,0 |
24 | Tryst | 71,0 |
25 | Sternkranz | 69,5 |
26 | Sound of Freedom | 68,0 |
Dazu sei angemerkt, dass wir, also die Handicapper, nach dem letzten Derbytrial am kommenden Sonntag in Bremen das voraussichtliche Starterfeld noch einmal einer Revision unterziehen. Änderungen sind immer noch möglich. Wie überhaupt alle GAG-Marken nur für den Tag ihrer Veröffentlichung gedacht sind und nicht wie in Stein gemeißelt auch für die folgenden Wochen noch unbedingte Gültigkeit haben.
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Der Rote Kardinal ist das Wappentier in gleich sieben amerikanischen Bundestaaten. Er ist in den USA streng geschützt, wer ihn fängt oder im Käfig hält, kann ins Gefängnis kommen. Damit ist natürlich nicht der Red Cardinal gemeint, der am späten Freitagabend auf der Rennbahn von Belmont Park in New York den Belmont Gold Cup gewann, sondern der vor allem im Norden und Osten Amerikas verbreitete und beliebte Vogel. Aber schon in „Brehms Tierleben“ kann man lesen, „dass kaum zu bezweifeln ist, dass sich der Kardinal auch in Deutschland einbürgern lässt.“ So ist es, denn offiziell seit dem 20. August vorigen Jahres ist Red Cardinal (also das Pferd jetzt) in Training bei Andreas Wöhler in Gütersloh, hat seitdem zwei Grupperennen gewonnen und ist zu einem der führenden Steher Europas aufgestiegen. Überhaupt ist sein Formenspiegel ohne Tadel, bei bisher erst neun Starts war der Fünfjährige immer unter den ersten drei zu finden, in Ziffern liest sich das so: 221113211. Da kann man für die Zukunft optimistisch sein, zumal der Wallach in Belmont Park seine beste Karriereleistung gezeigt hat, jedenfalls nach Meinung von uns Ausgleichern. Ich sehe Red Cardinal jetzt bei 97,5 kg (Rating 115), die Handicapper aus England, Irland und Frankreich haben sogar noch ein Pfund mehr gegeben. Greg Carpenter aus Australien hat sich meiner Bewertung angeschlossen, was insofern von Interesse ist, als Carpenter derjenige ist, der Mitte September die Gewichte für den Melbourne Cup festlegen wird, dem erklärten Saisonziel für Red Cardinal. Der Sieg von Red Cardinal ist auch als großer Erfolg für Hoppegarten und seinen Eigner Gerhard Schöningh zu werten. Gleich im ersten Jahr der Kooperation mit der New York Racing Association hat der Sieger des Hoppegartener Oleander-Rennens im Anschluss daran auch das bedeutendste Steher-Rennen Amerikas gewonnen, zu dem Red Cardinal aufgrund des Sieges in Hoppegarten ja eingeladen war.
Rennen über Extremdistanzen kommen in USA ansonsten kaum vor. Das war nicht immer so, das San Juan Capistrano Handicap war einmal ein angesehenes Gruppe-1-Rennen über 2800 Meter, in der Siegerliste findet man so bedeutende Pferde wie John Henry, ehemals das gewinnreichste Pferd der Welt. Inzwischen findet es als Gruppe-3-Prüfung aber kaum noch Interesse. Auch der „Marathon“ wurde inzwischen aus dem Breeders´ Cup-Programm wieder gestrichen. Mit dem Belmont Gold Cup, im Vorjahr zum ersten Mal im Rahmen des Belmont Racing Festivals entschieden, ist nun ein neuer Versuch gemacht worden, ein bedeutendes Rennen für Steher in den USA zu etablieren.
Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.