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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

"God Save the Queen"

5. August 2020

Ich habe an dieser Stelle schon mehrfach über Mark Twain gesprochen, der ja nicht nur ein großer Schriftsteller und Humorist war, sondern auch ein Freund des Galopprennsports. Auf seinen vielen Reisen ließ er kaum eine Gelegenheit aus, einen Rennplatz zu besuchen. Er hielt sich übrigens auch längere Zeit in Berlin auf und schrieb später über seine Versuche, Deutsch zu lernen, einen witzigen Aufsatz mit dem Titel „Die schreckliche deutsche Sprache“, in dem er mit bissigem Humor deren Absonderlichkeiten beschrieb: kilometerlange Wörter; Sätze, bei denen nach einer Viertelstunde ganz zum Schluss das Verb kommt „und hinter das Verb stellt der Verfasser noch haben sind gewesen gehabt haben geworden sein.“ Er hat auch viel für die Anreicherung des Zitatenschatzes getan, aus dem hier folgendes Beispiel ans Licht geholt sei: „Es wäre nicht gut, wenn einer dächte wie der andere – denn nur weil es verschiedene Meinungen gibt, gibt es auch Pferderennen.“
Beim 162. Henkel Preis der Diana am Sonntag in Düsseldorf wurde die segensreiche Wirkung der Meinungsvielfalt wieder einmal glänzend unter Beweis gestellt, denn die Suche nach Sieger und Platzierten in diesem faszinierenden Rennen wirkte sich auf das Geschäftliche in einer Art und Weise aus, dass bis auf ein paar Hundert Euro der höchste Wettumsatz erzielt wurde, seit das Rennen im Jahre 2006 erstmals auf der Grafenberger Rennbahn gelaufen wurde. Und das ganz ohne Publikum. Damals gewann Almerita gegen Karavel und Nordtänzerin und bekam dafür 94 kg. Heute, 14 Jahre danach, sind es wieder 94 kg, diesmal für die Siegerin Miss Yoda, die im Gestüt Etzean gezogen ist und einen in Deutschland geborenen, in London residierenden Schweizer Besitzer hat, für die aber bei der Siegerehrung „God Save The Queen“ gespielt wurde, da sie im Stall des derzeit erfolgreichsten englischen Trainers John Gosden steht. Miss Yoda war die sechste Stute, die seit 2006 aus England in die „Diana“ geschickt wurde. Ihre Vorgängerinnen Hibaayeb, Dancing Rain, Secret Gesture, Architecture und Wuheida waren als Gruppe-I-Siegerinnen oder -Platzierte deutlich stärker profiliert als diesmal Miss Yoda, und doch konnte von ihnen nur Dancing Rain gewinnen. Miss Yoda hatte vorher lediglich ein Listenrennen gewonnen und war als Zweijährige in einem Gruppe-3-Rennen Zweite gewesen. Beide Prüfungen waren nicht besonders stark besetzt, so dass ihr Rating von 89,5 kg bei allem Respekt eigentlich nicht hätte ausreichen dürfen – zumal sie im Anschluss an ihren Listensieg in besserer Gesellschaft zweimal recht unbedeutend gelaufen war. Ein günstiger Rennverlauf und die Kunst von Frankie Dettori haben es aber doch möglich gemacht.

Miss Yoda siegt unter Frankie Dettori im 162. Henkel-Preis der Diana - German Oaks, Gr.1; Copyright: Marc Rühl
Miss Yoda siegt unter Frankie Dettori im 162. Henkel-Preis der Diana - German Oaks, Gr.1; Copyright: Marc Rühl

Wer will, kann also von einer Blamage für die deutschen Pferde sprechen, aber so weit wollen wir doch (noch) nicht gehen und erst einmal die weitere Entwicklung abwarten. Aber woran liegt es, dass unsere Rennpferde seit nunmehr fast zwei Jahren im eigenen Land nur noch Niederlagen einstecken? Der Erfolg von Miss Yoda war die achte in Folge in einem international besetzten Gruppe-I-Rennen. An der Qualität der Zucht kann es nicht liegen, denn Miss Yoda stammt, wie gesagt, aus dem Gestüt Etzean im Odenwald und In Swoop, unser in Frankreich trainierter Derbysieger, ist ein Schlenderhaner. Offensichtlich kommen hier mehrere Faktoren zusammen. Zum einen ist die Zahl der Mutterstuten kleiner geworden, es werden also weniger Pferde geboren und damit auch weniger Gute. Gleichzeitig ist aufgrund der gestiegenen Reputation deutscher Vollblüter die Nachfrage aus dem zahlungskräftigen Ausland nach den besten Rennpferden, Jährlingen, Zuchtstuten und sogar Deckhengsten deutlich gestiegen, so dass ein großer Anteil davon aus Deutschland verschwindet. Seit Neuestem wird jetzt sogar noch eine Auswahl der besten Rennpferde zu Trainern außerhalb Deutschlands gegeben, vorwiegend nach Frankreich. Und kann es nicht sogar sein, dass unsere Trainingsbedingungen im Vergleich zu den ersten Adressen in England und Frankreich unzureichend sind? Dieses Thema ist ein vor langer Zeit einmal heiß diskutiert worden, was mit dem Können unserer Trainer, die große Arbeit leisten, gar nichts zu tun hat, sondern nur mit den äußeren Bedingungen, mit denen sie fertig werden müssen. Unvergessen ein Spruch aus der Vorkriegszeit, wonach sich die Kölner Trainierbahn zu einer wirklichen Trainierbahn verhält wie ein Flohzirkus zu einem Opernhaus.

Das alles und vielleicht noch mehr führt dazu, dass die Zahl der Qualitätspferde in deutschen Rennställen ständig abnimmt, was sich dann auch in den Ratings unserer Grupperennen widerspiegelt. Man muss kein großer Prophet sein um vorherzusehen, dass der Gruppe-Status vieler unserer Rennen, vor allem der Rennen der Gruppe I, in Zukunft äußerst gefährdet sein wird. Das gilt übrigens nicht nur für Deutschland, sondern auch für andere Länder, vor allem für Frankreich. Auch dort drohen viele Rennen unter die Anforderungen für eine Einstufung als Gruppe I- oder Gruppe II-Rennen zu fallen. Phil Smith, der langjährige Chef-Handicapper des englischen Rennsports und Vorsitzender der internationalen Handicapper-Kommission, hat kürzlich beim European Pattern Committe eine brillante Studie eingereicht über die Gründe, warum so viele europäische Grupperennen die geforderten Parameter nicht mehr erreichen. Darin wurde dringend empfohlen, die Anforderungen, vor allem für die Dreijährigen-Rennen, um 2,5 Pfund nach unten zu korrigieren. Eine Entscheidung darüber ist erst einmal vertagt worden. Nicht vertagt worden ist dagegen der Beschluss, wegen COVID 19 keine Herabstufungen aufgrund diesjähriger Ratings vorzunehmen.
Die Rechnung in diesem Henkel Preis der Diana geht über die Viertplatzierte Silence Please, deren Formen sich ganz ordentlich lesen und die deshalb auch Favoritin am Toto geworden ist. Sie kam mit einem Rating von 91 kg (international 102) aus Irland. Ihre letzte Form, als sie Dritte hinter zwei Stuten war, die anschließend in den irischen Oaks Erste und Dritte wurden, kann jetzt ein Kilo höher eingeschätzt werden, so dass der Ausgangspunkt für ihre Leistung in der Diana 92 Kilo sind. Darüber ergeben sich für Zamrud und Virginia Joy jeweils 93 kg und für die Siegerin 94 kg (Rating 108). Das ist – wie bereits gesagt – im historischen Vergleich wenig, denn die durchschnittliche Marke einer Diana-Siegerin in den letzten 10 Jahren betrug 95,5 kg. Wie stets sind die Marken aus der Diana eine Momentaufnahme, sie können sich durch nachfolgende Leistungen noch verändern, und zwar in jede Richtung.

* * *

Kein Zweifel, wir leben im Zeitalter der Superstuten. Tauchten sie früher nur vereinzelt einmal auf – ich denke an Allez France, Dahlia, Oh So Sharp, Pebbles oder Miesque, so darf man seit gut einem Dutzend Jahren zumindest Goldikova, Zarkava, Zenyatta, Rachel Alexandra, Danedream, Black Caviar, Treve, Beholder, Songbird, Found, Winx und Magical dazurechnen. Und Enable. Sie ist vielleicht sogar die Beste von allen. Diese 13 Stuten haben in ihrer Karriere zusammen die kaum glaubliche Anzahl von 126 Gruppe-I-Rennen gewonnen, allein 25 davon gehen auf das Konto von Winx. Black Caviar hat 15 gewonnen, Goldikova 14, Zenyatta 13, Beholder und Enable jeweils 11. Bemerkenswert, dass diese sechs Stuten alle bis zum Alter von sechs Jahren auf der Rennbahn waren, oder, wie Enable, immer noch sind, denn sie hat auf dem Weg zu ihrem dritten Prix de l´Arc de Triomphe vor Kurzem bekanntlich zum dritten Mal die King George VI and Queen Elizabeth Stakes gewonnen hat. Sie bekam für dieses ziemlich verunglückte Rennen (sie hatte nur zwei Gegner) ein provisorisches Rating von 124 (102 kg), vier Pfund unter ihrer Bestmarke aus dem Vorjahr.
Dass Stuten so lange im Rennstall bleiben, ist auch eine Erscheinung unserer Zeit. Lange war die Einstellung vorherrschend, dass eine Stute am Ende ihres dritten Jahres ins Gestüt gehöre, andernfalls lasse sie zu viel Energie auf der Rennbahn, die sie dann nicht an ihre Nachkommen weitergeben kann. Da sich heute bei den zum Teil exorbitant hohen Rennpreisen ein weiteres Jahr im Rennstall häufig mehr „lohnt“ als ein Jahr im Gestüt, in dem eine Stute bekanntlich maximal ein Fohlen bringen kann, hat bei Vielen ein Umdenken stattgefunden – ganz abgesehen von dem Spaß und der Freude, die Siege auf der Rennbahn mit sich bringen.

Enable mit Frankie Dettori, Copyright: Frank Sorge
Enable mit Frankie Dettori, Copyright: Frank Sorge
 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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