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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Es kommt anders als man glaubt

7. April 2021

Wohl kaum ein Zweig des Sports ist mit Wilhelm Busch und dem Spruch „Aber hier, wie überhaupt, kommt es anders als man glaubt“ so vertraut wie der Pferderennsport. Ja – man kann sogar so weit gehen, dass dieser gemeinhin unterschätzte Alltagsphilosoph mit dieser Lebensweisheit auf der Rennbahn geradezu allgegenwärtig ist. So auch am Ostermontag in Köln, als man von Wonderful Moon eine Leistung erwartete, die es ihm erlauben sollte, demnächst auf die große Bühne des Turfs zu treten. Das ist erst einmal krachend schiefgegangen und man weiß zum wiederholten Male nicht recht, was mit diesem doch so talentierten Galopper eigentlich los ist. Auch wenn der schöne Plan von einem Start im Prix Ganay wohl noch nicht endgültig beiseite gelegt ist, so hatte man sich den Saisonstart eines Hoffnungsträgers für 2021 doch anders vorgestellt.
Trotz der Enttäuschung mit dem Favoriten gab es in diesem Grand Prix Aufgalopp dennoch eine Entdeckung: Adrian. Der Schimmel wurde ja mit einigen Hoffnungen für das letztjährige Derby gesattelt, kam in Hamburg aber nur als Achter durchs Ziel. Danach wurde es sehr ruhig um das Pferd, der Grund hierfür drang wie üblich nicht an die Öffentlichkeit. Immerhin hat ihm die lange Pause offensichtlich gut getan, denn am Ostermontag zeigte Adrian bei seinem Sieg gegen Dato, Only the Brave und Nerium seine bisher beste Leistung. Über Dato gerechnet steht er jetzt bei einem GAG von 94 kg und nähert sich damit der Jahrgangsspitze. Wie man hört, soll als nächstes der Große Preis der Badischen Wirtschaft in Angriff genommen werden, der diesmal in Mülheim gelaufen wird. Allerdings erst in zwei Monaten.

Adrian mit Lukas Delozier gewinnt den RaceBets Grand Prix-Aufgalopp
Adrian mit Lukas Delozier gewinnt den RaceBets Grand Prix-Aufgalopp

Der Vollblutsport ist ja auch deshalb so faszinierend, weil hier eine Generation auf die andere aufbaut und man im Pedigree eines Rennpferdes lesen kann wie in einem Buch. So kann man bei Adrian lesen, dass er zwar dem Ehepaar Endres gehört, aber vom Gestüt Röttgen gezogen wurde und aus einer Stutenfamilie stammt, deren Grundstein bereits 1938 gelegt wurde. Damals erwarb der Röttgens Gründer Peter Mülhens in Italien vom Gestüt del Soldo eine vierjährige Stute namens Adria, eine Halbschwester der überragenden Rennstute Archidamia, die mit den italienischen 1000 und 2000 Guineas, Oaks und Derby vier klassische Rennen gewann. Wenn jemals Geduld zum Erfolg geführt hat, dann war es die Geduld, die man in Röttgen mit dieser Linie hatte. 40 Jahre sollte es dauern, bis sich 1977 mit Aspros das erste Klassepferd einstellte. Ein Jahr später folgte dann schon mit Anna Paola das wohl berühmteste Familienmitglied, eine Gründerstute mit inzwischen hocherfolgreichen Nachkommen auf der ganzen Welt.

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Axana hat wieder gewonnen. Kein Wunder, denn es war wieder das Jahresdebüt, das sie nunmehr zum bereits dritten Mal siegreich gestalten konnte. Schon zweijährig hatte sie auf Anhieb gewonnen, ebenso als Dreijährige im G3-Schwarzgold-Rennen. Nur bei ihrem Debüt im Vorjahr hat es nicht ganz geklappt, als sie auf eine gewisse Jin Jin stieß, die auch noch zwei Kilo weniger zu tragen hatte. Trotz dieses Handicaps war Axana nur nach Zielfoto geschlagen. Jetzt hat es aber wieder funktioniert, denn sie siegte am Ostersonntag zum Saisonauftakt im Preis des Gestüts Röttgen, einem Listenrennen für Stuten in Hoppegarten und ließ dabei eine so gute Stute wie No Limit Credit und weitere starke Konkurrenz deutlich hinter sich. Dadurch und sicherte sich mit 93 kg (Rating 106) gleich wieder eine anspruchsvolle Handicapmarke. Ihre Bestmarke aus dem Jahr 2019 liegt sogar bei 95 kg, die sie vielleicht wieder erreichen oder sogar übertreffen kann, wenn es einmal gelingt, sie eine ganze Saison lang auf den Beinen zu halten. In den letzten beiden Jahren war immer schon nach drei Starts Saisonschluss gewesen.

Axana mit Eduardo Pedroza gewinnt
Axana mit Eduardo Pedroza gewinnt

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Bei der Jagd nach dem Titel des wertvollsten Galopprennens der Welt liegt seit nunmehr zwei Jahren bekanntlich der Saudi Cup mit einer Gesamtdotierung von 20 Millionen US-Dollar vorne. Nun kann man ja darüber streiten, ob eine derartige Summe für ein einzelnes Pferderennen nicht schon anstößig ist, könnte man mit dieser Summe doch mehr als tausend Familien ein Jahr lang mit einem bedingungslosen Grundeinkommen von monatlich 1500 Euro ausstatten. Derartige Unsummen für Pferderennen sind allerdings keine Erfindung der Neuzeit, denn als im Jahre 1886 die Eclipse Stakes mit der damals sagenhaften Summe von 10.000 Pfund das reichste Rennen der Welt war, verdiente ein englischer Arbeiter nicht mehr als 100 Pfund im Jahr. Also alles schon mal dagewesen. Die Eclipse Stakes waren auch lange Zeit das wertvollste Rennen der Welt, das erste 100.000 Dollar-Rennen gab es dann 1926 in Chicago, das erste Millionrennen der Turfgeschichte waren bekanntlich 1981 die Arlington Million, die Zehn-Millionen-Grenze war schließlich 2010 beim World Cup in Dubai erreicht.
Ich erzähle das alles, weil der erst vierjährige Hengst Mishriff zuletzt mit seinen Siegen im Saudi-Cup in Riad und beim Sheema Classic in Dubai seine Gewinnsumme auf umgerechnet 10,2 Millionen Euro steigerte und damit Enable als gewinnreichstes europäisches Rennpferd aller Zeiten ablöste. Enable brauchte dafür vier Jahre, musste zweimal den „Arc“, drei Mal die“ King George“ und sechs weitere Gruppe-I-Rennen gewinnen.

Mishriff erledigte das alles in nur fünf Wochen in den Wüsten Arabiens. Da fällt mir ein: reichstes europäisches Rennpferd war auch mal ein deutscher Galopper. Das war in jenem Herbst des Jahres 1995, als in einer einmaligen Sternstunde für den deutschen Galoppsport zunächst Lando durch seinen Sieg im Japan Cup zum gewinnreichsten Pferd des alten Kontinents aufstieg und wenige Wochen später Peter Schiergen mit seinem 270. Jahressieg einen 40 Jahre alten Europarekord von Gordon Richards auslöschte. Ja, so etwas gab es tatsächlich einmal – tempi passati. Da hier von den Gewinnrekorden die Rede ist, sollen einmal diejenigen Pferde genannt sein, die sich in den letzten 120 Jahren „gewinnreichstes deutsches Rennpferd“ nennen durften:

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Pferd Rennjahre Gewinnsumme
Namouna 1898-1901 301.785 Mark
Fervor 1908-1912 432.590 Mark
Oleander 1926-1929 580.950 Mark
Luciano 1967-1968 595.800 DM
Lombard 1969-1973 1.157.020 DM
Windwurf 1974-1977 1.315.600 DM
Acatenango 1984-1987 1.744.541 DM
Mondrian 1988-1991 1.888.225 DM
Platini 1991-1993 1.179.646 Euro
Lando 1992-1995 2.892.803 Euro
Paolini 1999-2003 3.282.450 Euro
Danedream 2010-2012 3.766.403 Euro

Nun ist die Gewinnsumme bekanntlich nicht immer ein guter Ratgeber, wenn es um die Frage nach dem Können eines Rennpferdes geht. Paolini zum Beispiel war fast zehn Jahre klang der Krösus unter den deutschen Rennpferden, seine Leistungsgrenze lag bei allem Respekt aber doch schon bei einem GAG von 98,5 kg. Und auch Mishriff reicht trotz des vielen gewonnenen Geldes noch lange nicht an Pferde wie Frankel, Dancing Brave, Treve oder Enable heran. Bewundern muss man allerdings seine Vielseitigkeit, denn Sand oder Gras machen bei ihm keinen Unterschied. Der Sieg im Saudi Cup brachte ihm auf Sand ein Rating von 122 (101 kg) ein und diese Marke erreichte er auch auf Gras bei seinem knappen Sieg gegen die japanische Stute Chrono Genesis in Dubai. Immerhin werden diese 101 kg ausreichen um die am Donnerstag erscheinende erste Weltrangliste des Jahres 2021 anzuführen, gemeinsam mit dem World Cup-Sieger Mystic Guide.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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