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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Denn viele sind berufen …

22. Juni 2021

Dem Evangelisten Matthäus verdanken wir ein Gleichnis, das die Auswahl einer Elite als Gäste für eine königliche Hochzeit zum Gegenstand hat. Die Auswahl erfolgt nicht etwa nach Herkunft, sondern die Eignung als Gast an der königlichen Tafel wird anhand erworbener Merkmale geprüft. „Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt“, lautet die entsprechende Bibelstelle. Die Ungeeigneten aber werden zurückgeschickt, dorthin, „wo Heulen und Zähneklappern“ sein werde.

Nun gut – ganz so dramatisch wie in der Heiligen Schrift verläuft die Vergabe der 20 Startplätze für das diesjährige 152. IDEE-Deutsche Derby nicht. Aber gewisse Gemeinsamkeiten lassen sich doch erkennen, denn auch beim Derby kommt es nicht darauf an, ob ein Kandidat von Sea The Stars abstammt oder – mit Verlaub – von Polish Vulcano. Allein erworbene Merkmale entscheiden über die Zulassung für das wichtigste Rennen im Leben eines Vollblüters, also die Rennleistung. Vielleicht fügt sich ja noch alles ganz friedlich und jeder, der möchte, darf am 4. Juli sein Pferd an den Start schicken. Doch elf Tage vor seiner Entscheidung herrscht immer noch ein ziemliches Gedrängel um die Startplätze fürs Derby, auch wenn prominente Ausfälle wie Best of Lips und Martial Eagle die Reihen zu Beginn dieser Woche etwas gelichtet haben. Aber immer noch kann es dazu kommen, dass Pferde ausgeschieden werden und im Stall bleiben müssen, was letzmalig vor elf Jahren der Fall war.

Es ist ein etwas merkwürdiges Bild, das uns der Blick auf die vorläufige Starterliste augenblicklich bietet. Was wir nicht sehen, sind mit Best of Lips, Mythico, Northern Ruler und Best Lightning die vier derzeit Jahrgangsbesten dreijährigen Hengste, die aus unterschiedlichen Gründen fehlen. Ganz oben stattdessen mit Sampras ein noch zweifelhafter Starter und mit einem doch recht kümmerlichen Rating von 92,5 kg versehen, ein Negativrekord für eine Nummer 1 im Derby. Dahinter dann eine Meute von nicht weniger als 21 Pferde, die alle zwischen 92 und 88 Kilo stehen. Eine solche Konstellation habe ich im Derby noch nicht erlebt, und es mag jeder für sich entscheiden, ob das nun ein Zeichen für eine solide Breite unter den Dreijährigen ist, auf der sich aufbauen lässt, oder doch eher ein Zeugnis für einen Mangel an Klasse. Gegen alle Handicappervernunft weigere ich mich noch, das Letztere anzunehmen und hoffe, dass sich – wie im Vorjahr mit In Swoop, der auch mit einem Rating von „nur“ 91,5 kg ins Rennen gegangen war – das Klassepferd erst im Derby zeigen wird. Wer das sein wird, an dieser Frage würde sogar der berühmte Hellseher Nostradamus scheitern. Allein die Tatsache, dass Andrasch Starke, unser erfolgreichster Derbyreiter aller Zeiten, sich mit Sisfahan ein Pferd ausgesucht hat, dass derzeit auf Platz 18 rangiert, sagt alles.

Mit dem Großen Preis der Baum Unternehmensgruppe fand am Sonntag in Hannover der letzte Derbytest statt, auch ein Rätselrennen – vorher und nachher. Der Sieger Quebueno zeigte eine erstaunliche Leistung. Nach dem Start zunächst deutlich hinter dem großen Feld, sammelte er ab Mitte Gegenüber einen Gegner nach dem anderen ein und bog als Dritter in die Gerade ein. Danach hatte er noch genügend Kraft nach vorne zu gehen und alle Angriffe abzuwehren. Solch einem Pferd ist alles zuzutrauen. Ähnlich einzuschätzen ist die Leistung von Santorini, der im Schlussbogen gegen den zurückfallenden Lommerzheim lief, weit zurückfiel und am Ende wieder stark aufkam und Dritter wurde. Die Berechnung des Rennens war nicht ganz einfach, aber man verlangt ja nicht, dass die Arbeit des Handicappers einfach sein soll. Unser „Stellpferd“ war Santorini, für den wir wegen des geschilderten Mißgeschicks nur 88 kg (und keine 89, wie zuvor in Hoppegarten) zugrunde legen wollen. So kommt Quebueno als Sieger auf 89,5 kg (Rating 98) und rutscht ebenso wie der Zweite Nordstrand noch ins Derbyfeld. Andere, wie Nacido oder Imi, müssen noch abwarten.

 

* * *

Vierter werden kann allenfalls das Ziel für die Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH sein. Ansonsten ist Vierter werden der Platz für Verlierer und für den HSV. Kein Platz auf dem Treppchen, kein Aufstiegsplatz, kein Black-Type. Manchmal aber kann ein vierter Platz sogar eine vorübergehende überschwängliche Gemütsverfassung erzeugen. Das war mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit bei den Besitzern unserer Spitzenstute Novemba der Fall, als diese am vorigen Freitag in Ascot in den G1-Coronation Stakes mit nie nachlassendem Kampfesmut versuchte, ihren Platz an der Spitze bis ins Ziel zu verteidigen. Das gelang zwar nicht ganz, auf den letzten 150 Metern kamen noch drei vorbei, trotzdem blieb einäußerst positiver Eindruck von ihrem Auftritt. Es war ja nicht irgendein Stutenrennen. Die Coronation Stakes sind in fast jedem Jahr ein Gipfeltreffen der besten dreijährigen Stuten über die Meile, so auch diesmal. Wie schon in Düsseldorf bei ihrem Sieg im deutschen Klassiker, so strebte Novemba auch in Ascot sofort an die Spitze, fand schnell ihren Rhythmus, und als sie zu Beginn der Geraden noch einmal zulegen und auf zwei Längen vor das Feld gehen konnte, da durfte man kurz sogar auf einen Sieg hoffen. Zum Schluss wurde sie etwas müde, der schwere und klebrige Boden hatte daran sicher auch einen Anteil.

Ein Rating von 115 (97,5 kg) wie bei ihrer 7-Längen-Gala in Düsseldorf konnte sie natürlich nicht erreichen, aber was herauskam, war immer noch gut genug. Die englische Guineas-Siegerin Mother Earth, die eine halbe Länge vor Novemba Dritte wurde, hatte für ihren Sieg in Newmarket eine Marke von 111 (95,5 kg) bekommen.

Darüber gerechnet kommt die Siegerin Alcohol Free auf 115 (97,5 kg) und Novemba auf 110 oder 95 kg. Das war durchaus eine Bestätigung ihrer Düsseldorfer Form, auch wenn sie rechnerisch fünf Pfund darunter blieb. Das Ganze erinnerte an den Auftritt von Mi Emma in diesem Rennen vor 14 Jahren. Auch sie hatte sich durch einen haushohen Sieg in den deutschen 1000 Guineas eine Marke von 97,5 kg verdient und schaffte es bei ihrem zweiten Platz in Ascot auf 95,5 kg. Von Mi Emmas Auftritt in Ascot wird heute noch erzählt. Bei Novemba wird das in Zukunft auch so sein.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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