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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

"Ein Rennpferd muss einen anständigen Namen haben"

3. Oktober 2018

Wette immer das jüngste Pferd mit dem höchsten Gewicht. Diesen Ratschlag habe ich schon vor 50 Jahren in damals noch dunklen und verqualmten Buchmacherbuden zu hören bekommen. Meistens stammte er von älteren Männern, denen man ansehen konnte, dass mit diesem Spruch kein Geld zu verdienen war. Am Samstag aber, beim berühmten Cambridgeshire Handicap in Newmarket, war das der richtige Tipp. Denn der von Frankie Dettori gerittene Wissahickon war einer von nur fünf Dreijährigen unter 33 Startern und trug mit 59,5 Kilo auch das höchste Gewicht. Er ging schon mit einem beachtlichen Rating von 107 (93,5 kg) ins Rennen, und da er spielend leicht mit 3 ¾ Längen gewann, kann man sich ausrechnen, dass seine neue Marke jetzt deutlich die 95 kg übersteigen wird. Damit gehört er zu den besten Siegern dieses Traditionsrennens, man vergleicht ihn sogar schon mit Halling, der 1994 nach seinem Sieg im Cambridgeshire noch fünf Gruppe-I-Rennen gewinnen konnte.

Dass 33 Pferde in einem Rennen an den Start gehen, ist in Deutschland ja undenkbar, und auch, dass ein Handicap mit 160.000 Pfund ausgestattet ist. Hoppegarten hatte einmal den Mut, ein „Internationales Super Handicap“ mit 80.000 Euro auszuschreiben, das war 2011, 2012 und 2013. Beim ersten Mal gab es zwölf Starter, beim zweiten Mal elf und beim dritten Mal gab es gar kein Interesse mehr. Das Rennen fiel aus, stattdessen wurde ein Listenrennen gelaufen. Seitdem habe ich den Glauben daran verloren, dass große Handicaps in Deutschland funktionieren können.

In England ist ein Geldpreis wie im Cambridgeshire noch nicht einmal etwas Besonderes. Das Ebor Handicap in York war sogar mit 500.000 Pfund dotiert, ebenso viel wird es in drei Wochen im Cesarewitch geben, dem Schwesterrennen des Cambridgeshire. Es geht aber noch mehr. Das Ebor Handicap (2800m) soll nächstes Jahr auf eine Million angehoben werden, das Cesarewitch (3600m) ebenfalls, allerdings erst im Jahr 2020. Beide Rennen profitieren von der großzügigen Förderung englischer Steherrennen, die die British Horseracing Authority vor zwei Jahren beschlossen hat. Man darf aber wohl Zweifel anmelden, ob derartige Riesensummen für Handicap-Rennen sinnvoll sind. 

Das Cambridgeshire führt über 1800 Meter, also nur über die Hälfte der Strecke, die im Cesarewitch verlangt wird. Wer beide Rennen gewinnt, hat das „Autumn Double“ geschafft, was aber in 179 Jahren nur drei Pferden gelungen ist, zuletzt Plaisanterie im Jahr 1885. Heutzutage kommt niemand mehr auf die Idee, in beiden Rennen zu laufen. In grauer Vorzeit, als das Cambridgeshire in der Wertschätzung der Engländer noch kurz nach dem Derby kam, waren sogar zwei deutsche Pferde erfolgreich. Der erste war 1854 der dreijährige Hengst Scherz im Besitz des Grafen Wilamowitz-Möllendorf, der zweite 1870 Graf Johannes Renards Horner Derbysieger Adonis, der unter 39,5 Kilo gegen 41 Gegner gewann. Versunkene Zeiten.

* * *

William Shakespeare glaubte wohl nicht an die Bedeutung eines Namens. Sonst hätte er seine Julia zu Romeo nicht sagen lassen, dass eine Rose, wie sie auch hieße, lieblich duften würde. Im Galoppsport gehen die Züchter und Besitzer bei der Namensgebung ihrer jungen Pferde in der Regel gewissenhaft vor, nur eine Minderheit gibt ihren Pferden Namen, die beim Scrabble spielen den allergrößten Protest auslösen würden. Aber auch mit viel Fantasie und Geschmack ausgesuchte Namen machen ein Pferd nun einmal nicht schneller. Oder doch?

Hat nicht schon Heinz Jentzsch gesagt, dass ein Rennpferd einen anständigen Namen haben muss? Zu den Besitzern, die sehr auf die Namen ihrer Pferde bedacht sind, gehört Coolmore. Zuständig für die Namensgebung ist dort Susan Magnier, Tochter der Trainerlegende Vincent O´Brien und Ehefrau von Coolmore-Gründer John Magnier. Die besten Pferde sollen dort auch die besten Namen bekommen. Manchmal gelingt das, manchmal auch nicht. Ten Sovereigns jedenfalls, der neue Star unter den Zweijährigen von Coolmore und am Samstag Sieger in den G1-Middle Park Stakes, trägt einen sehr gut ausgesuchten Namen. Er stammt aus einer Zeile des irischen Volksliedes „The Wild Rover“, und dort, im Refrain (zur Melodie von „An der Nordseeküste“), taucht auch der Name seines Vaters No Nay Never auf, dem derzeit erfolgreichsten Nachwuchsdeckhengst Europas:

I took from my pocket ten sovereigns bright

And the landlady's eyes opened wide with delight.

She said "I have whiskey and wines of the best

And the words that I spoke sure were only in jest."

chorus: And it's no, nay, never,

No nay never no more

Ten Sovereigns hat jetzt innerhalb von etwas mehr als vier Wochen drei Rennen gewonnen. Er ist noch ungeschlagen, soll aber in diesem Jahr keine Rennen mehr laufen. 

Mit einem Rating von 121 (100,5 kg) hat er sich zunächst einmal klar an Spitze der Zweijährigen in Europa gesetzt, vor Too Darn Hot (116/98kg), der in zwei Wochen aber noch einmal in den G1-Dewhurst Stakes laufen soll. Too Darn Hot gehört Lord und Lady Lloyd Webber und damit ist klar, dass auch dieser Name etwas mit Musik zu tun hat – es ist ein Titel aus dem Musical „Kiss Me, Kate“ und bedeutet so viel wie „Es ist viel zu heiß, verdammt noch mal“.

* * *

Auch Peace in Motion trägt einen schönen Namen, der jetzt, nach dem Sieg der Vierjährigen im G3-Großen Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf, einen noch besseren Klang bekommen hat. Es ist ja nicht immer alles nach Wunsch gegangen mit ihr. Nach einem zweiten Platz in den vorjährigen 1000 Guineas in Düsseldorf zu Unforgetable Filly (die sich kürzlich als Zehn-Längen-Siegerin in einem Listenrennen in Haydock wieder zurückgemeldet hat) musste sie aussetzen, verletzte sich dann kurz vor dem Preis der Diana erneut, womit ihre Dreijährigensaison zu Ende war. Auch in diesem Jahr ging nicht immer alles glatt, sie konnte aber doch zwei Listenrennen gewinnen und jetzt endlich auch ein Grupperennen. Bei ihrem Sieg am Sonntag machte ihr kraftvoller Antritt ziemlichen Eindruck, auch im Ziel hatte sie augenscheinlich noch viel Energie übrig. Da spielte auch keine Rolle, dass sie ihrem ärgsten Gegner, dem englischen Wallach Crazy Horse, etwas in die Quere gekommen war. Dieser Crazy Horse ist nun nicht gerade ein Überpferd, seine Dreijährigensaison beendete er mit einem Rating von 111 (95,5). Danach ließ seine Form nach, aber ein zweiter Platz im Mai in Ascot war immerhin 93 kg wert, und die haben wir auch für das Düsseldorfer Rennen zugrunde gelegt. Peace in Motion kommt danach auf eine neue Marke von 93,5 Kilo – mit einem kleinen Pluszeichen dahinter, denn ich habe das Gefühl, dass sie noch etwas mehr kann. Sie wird ja hoffentlich noch einmal laufen, voraussichtlich im Prix Perth am 27. Oktober in Saint-Cloud. Dieses Rennen haben deutsche Ställe zweimal gewinnen können, 2013 mit Amaron und 2014 mit Flamingo Star.

Video: 98. Grosser Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf (Gr. III) - Siegerin: Peace in Motion

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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