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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Weltklasse oder "nur" im Blickfeld

11. April 2018

In meiner Jugend, also in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre, war ich ein leidenschaftlicher Leser des „kicker“. Mit besonderer Spannung wartete ich alle halbe Jahre auf die „Rangliste des deutschen Fußballs“, in der das Sportmagazin alle Fußballspieler in Deutschland, aber auch die „Legionäre“ im Ausland, nach ihrem aktuellen Können einstufte. Von herausragender Bedeutung für mich war dabei immer, ob den Ignoranten in der Redaktion endlich aufgefallen war, dass mein Lieblingsspieler, Karl-Heinz Thielen vom 1. FC Köln, auf der Position des rechten Außenstürmers „Weltklasse“ war, mindestens aber doch “Internationale Klasse“. Zu meiner Enttäuschung fand ich ihn aber jedes Mal, wenn überhaupt, nur in der ominösen Rubrik „Im weiteren Kreis“ oder, schlimmer noch, „ Im Blickfeld“.

In Form des Jahresgeneralausgleichs hatte auch der Galoppsport damals schon eine Rangliste, aber von den heutigen Weltranglisten, wie sie acht Mal im Jahr erscheinen, war man noch weit entfernt. Wollte man die Einstufungen des „kicker“ auf in Deutschland trainierte Pferde anwenden, so wären Pferde mit einem Rating von 120 (100 kg) und darüber Weltklasse, zwischen 119 und 115 (99,5-97,5 kg) internationale Klasse, Pferde zwischen 114 und 110 (97-95 kg) befänden sich „im weiteren Kreis“, alle anderen ständen maximal „im Blickfeld“. Und was im Fußball – um im Bild zu bleiben – die Positionen wie Torhüter, Außenverteidiger, Innenverteidiger usw. sind, das sind im Galoppsport die Flieger, Meiler und Steher. In diesem Sinne sind deutsche Galopper allerdings nur auf Distanzen von 2200 Meter an aufwärts Weltklasse, also bei den Stehern. Seit 1985, als Deutschland Mitglied des International Classification Committee (heute: World Rankings Committee) wurde, haben es 36 hier trainierte Rennpferde auf ein Jahresend-Rating von 120 (100 kg) oder mehr gebracht, können also im obigen Sinn als Weltklasse bezeichnet werden. Von diesen 36 Pferden sind 4 Pferde in zwei Distanzkategorien erfolgreich gewesen, so dass deutsche Pferde es insgesamt 40 Mal in die Weltelite geschafft haben. Davon allein 31 Mal auf Steherdistanzen, sechs Mal auf mittlerer Strecke, und nur jeweils einmal auf der Flieger-, Meilen- oder Extremdistanz. Eindrucksvoller kann kaum dargestellt werden, wo die Stärke deutscher Rennpferde liegt (hier die vollständige Liste). 

Nur ein Weltklasse-Meiler also in den letzten 33 Jahren (Lirung, 1985/86), und es sieht derzeit nicht so aus, als sollte sich das schnell ändern. Unsere derzeitige Meilerelite tut sich schon mit dem Sprung in die jährlichen World Rankings schwer, für die ein Mindest-Rating von 115 (97,5 kg) verlangt wird. Nach seinem erneuten Sieg in der Frühjahrs-Meile am vorigen Sonntag in Düsseldorf hat Wonnemond das jetzt aber geschafft, jedenfalls vorerst. Auf dem Weg zu diesem Erfolg musste Wonnemond wieder einmal vom Ende des Feldes alle Gegner einsammeln, das von Millowitsch vorgelegte schnelle Tempo war dabei hilfreich. Mit seinen 97,5 Kilo steht Wonnemond vorerst an der Spitze unserer Meilenpferde, zusammen mit Palace Prince. In drei Wochen, an gleicher Stelle, wird er in der Europa-Meile wohl wieder auf dieselben alten Bekannten treffen, eine interessante neue Gegnerin könnte allerdings Peace in Motion werden, die nach langer Pause vor anderthalb Wochen in Hannover ein erfolgreiches Comeback gab. Ob Wonnemond dann wieder gewinnen kann, hängt auch entscheidend vom Rennverlauf ab, denn der Wallach braucht schnelle Rennen, damit sein Speed zur Geltung kommt. Deshalb ist durchaus denkbar, dass Wonnemond im Laufe der Saison auch einmal in England an den Start kommt, denn die dortigen Rennen werden in der Regel deutlich zügiger gelaufen als beispielsweise in Frankreich. Wonnemonds Besitzer fragte uns Handicapper nach dem Sieg, welche Chancen wir seinem Pferd denn in einem englischen Gruppe-I-Rennen geben würden. Nun ja – der Gedanke an ein schnell gelaufenes englisches Rennen ist ja so verkehrt nicht, die Trauben hängen dort aber sehr hoch. Ich habe einmal zusammengestellt, welche Leistung ein Pferd für einen Sieg oder eine Platzierung in einem englischen Meilenrennen der Gruppe I und II in den letzten fünf Jahren im Durchschnitt zeigen musste. Unter 100 Kilo in Gruppe I geht es nicht, für Gruppe II braucht man im günstigsten Fall 97 kg. Das Ergebnis im Einzelnen gibt es hier

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Alounak ist der Name von zwei Restaurants in London, eines in Kensington, das andere in Notting Hill. Für Liebhaber der gehobenen persischen Küche sind beide Adressen ein Begriff, der deutsche Rennbahnbesucher wird den Namen Alounak dagegen spätestens seit Sonntag mit dem Pferd in Verbindung bringen, das jetzt zum Derbyfavoriten aufgestiegen ist. Vor einem Jahr, nach dem Sieg von Windstoß gegen Nerud, schrieb ich an dieser Stelle von zwei echten Derbypferden, was dann leider nur auf einen zutraf, denn Nerud verletzte sich nach einigen guten Ansätzen und befindet sich derzeit auf der Trainingsliste von Haris Ludvik in der Tschechischen Republik. Diesmal habe ich nicht zwei, sondern nur ein Derbypferd gesehen, aber wiederum ein echtes. Es machte viel Eindruck, wie Alounak seine Gegner stehen ließ, über deren Qualität sich allerdings noch nichts Genaues sagen lässt, so dass wir bei der Bewertung des Rennens erst einmal zurückhaltend gewesen sind. Die Vierte Shining Bright hat nach drei Starts in Frankreich ein Valeur von 37,5 bekommen, nach offzieller Umrechnung sind das 81,5 kg GAG. Das war denn auch der Ausgangspunkt für unsere Rechnung, für Alounak kommen dann 89 kg heraus, mit einem dicken Plus dahinter. Aus dem Vorjahr hat Alounak bereits ein GAG von 91,5 kg, nachdem er sowohl Poldi´s Liebling (in einem Maidenrennen) als auch Royal Youmzain (im Junioren-Preis) hat schlagen können. Er kann aber noch mehr.

Video: Preis der Wettannahme Kalkmann Derby-Trial (L), Düsseldorf - Sieger: Alounak

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Karpino ist eingegangen, in einem irischen Gestüt, an einem bösartigen Tumor. Es ist ein Jammer um dieses Pferd. Selten habe ich so viel Talent gesehen, wie bei den Siegen dieses Pferdes im Busch-Memorial und im Mehl-Mülhens-Rennen, in diesem vor allem. Mit enormen Antritt legte er auf den letzten 200 Metern 4 ½ Längen zwischen sich und dem englischen Hengst Fanciful Angel. (Dieser Fanciful Angel, der anschließend drei Jahre lang in England auf der Meile eine mehr oder weniger unauffällige Rennlaufbahn absolvierte, ist übrigens im vorigen Herbst auf längeren Distanzen in Amerika groß herausgekommen, war Zweiter in der Arlington Million und lief sogar im Breeders` Cup Turf.) Für Karpinos klassischen Sieg in Köln habe ich seinerzeit 98 kg gegeben, eine höhere Marke hat in den vergangenen 30 Jahren überhaupt nur Excelebration bekommen (98,5). Und Karpino versprach ja noch viel mehr, vom Pedigree her war er ein richtiges Derbypferd, auch sein Stall sah das so. (Ich bin wirklich froh, dass ich nicht mehr wette. Für Derby-Festkurse auf ihn hätte ich mein Konto geplündert.) Aus heiterem Himmel, am Montag vor dem Derby, wurde Karpino aus dem Derby gestrichen. Eine auch später nie konkret benannte Verletzung bedeutete das Aus. Zwar hieß es zunächst, es sei nicht schlimm, bald werde er wieder laufen und man ließ ihn sogar beim Streichungstermin in den King George VI and Queen Elizabeth Stakes. Aber es folgte ein weiteres, häppchenweises Abschiednehmen. Der Prix de l´Arc de Triomphe komme wohl nicht in Frage hörte man im Sommer, aber die Champion Stakes seien möglich. (Unter diesem Niveau machte man es nicht mehr, Besitzer war Qatar Racing.)

Im vorigen Jahr sah man ihn dann tatsächlich wieder. Am Derbytag, in einem kleinen, aber gut besetzten Rennen der Kategorie D, in dem er Dritter wurde und damit seine erste Niederlage bezog. Das war sein viertes und letztes Rennen, im Oktober musste er den Rennstall von Andreas Wöhler endgültig verlassen. Schade, dass er keinen Deckhengstposten in Deutschland bekam. Aber die Krankheit hätte ihn wohl auch dort ereilt.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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