Login
Online-Service
Schliessen
Login

Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Altes und neues von Schneewittchen

14. April 2021

SSodashi, das „weiße Wunder“ aus Japan, das so blendend weiß aussieht wie das Kleid der Persilfrau, hat am Sonntag auf der Rennbahn von Hanshin nahe Osaka ihr zweites Gruppe I-Rennen gewonnen. Sie bleibt damit auch nach fünf Starts weiter ungeschlagen. Und wie schon am 13. Dezember, als sie im japanischen Preis der Winterkönigin siegte, war auch diesmal im G1-Oka Sho, den Japanischen 1000 Guineas, Satono Reinas wieder ihre ärgste Gegnerin und im Ziel nur einen Hals zurück. Sodashi ist nicht etwa ein Schimmel und auch kein Albino, sondern wurde weiß geboren. Neue Forschungen haben ergeben, dass es sich dabei um eine Mutation auf ein KIT genanntes Gen handelt, was so selten vorkommt, dass Viele davon noch nie gehört haben. In Japan tauchte die weiße Farbe 1996 bei Sodashis Großmutter auf, der Sunday Silence-Tochter Shirayukihime, was auf deutsch Schneewittchen heißt. Shirayukihime lief nur einmal platziert, gründete aber eine in Japan inzwischen zum Kult erhobene Linie weißer Pferde. Von ihren zwölf Fohlen waren zehn weiß, zwei davon konnten Gruppe-Rennen gewinnen. Sodashi ist die erste weiße Gruppe I-Sieger weltweit und steht aktuell bei einer Marke von 113 (96,5 kg).

Josef Soppa hat in der „Turf Times“-Ausgabe vom 18. Dezember 2020 Ausführungen zu weißen Rennpferden gemacht und dabei auch erwähnt, dass das erste und bisher einzige in Deutschland geborene weiße Vollblutfohlen 1925 im Gestüt Römerhof zur Welt kam. Die Rennsportwelt war damals so verdutzt und ungläubig, dass die haarsträubendsten Theorien über die Herkunft des Fohlens gemacht wurden, der man den passenden Namen „Woher“ gab. Ich will ergänzend dazu noch sagen, dass Woher von dem dunkelbraunen Waldfrieder Deckhengst Pergolese aus der braunen, ebenfalls aus Waldfried stammenden Stute Lonja gezogen wurde. Im Allgemeinen Deutschen Gestütbuch hat man sie fälschlicherweise als Schimmel eingetragen. Woher wurde – wie damals alle Jährlinge aus Römerhof – 1926 auf der Römerhofer Auktion angeboten und für 10.000 Mark Peter Mülhens zugeschlagen, der gerade zwei Jahre zuvor sein Gestüt Röttgen gegründet hatte. Einige Spaßvögel machten den Vorschlag, die Stute in „4711“ umzutaufen und als Reklamepferd für das Mülhensche Parfümerieunternehmen zu nutzen. 

Die Stute kam nach Gremmendorf bei Münster in Training, wo Julius Blume für eine noch ziemlich bunte Mischung an Rennpferden verantwortlich war, denn Nachwuchs aus Röttgen war noch nicht vorhanden. In der Stallbesprechung vom 25. März 1928 heißt es über die dreijährige Woher: “Sie ist das weiße Wunder von Römerhof, da sie als weißer Schimmel geboren wurde, was es regulärer Weise nicht gibt. Sie ist im Vorjahr nicht gelaufen, weil sie klein geblieben ist, wahrscheinlich auf Grund irgendeiner nicht zu eruierenden inneren Unvollkommenheit. Ob sie jemals in Rennform zu bringen ist, kann noch nicht gesagt werden“. Trotz dieser wenig günstigen Prognose debütierte Woher am Pfingstsonntag 1928 in Mülheim siegreich, gewann mit drei Längen. Nachdem sie im folgenden Rennen nur Letzte werden konnte, steckte man sie in ein Verkaufsrennen, wo sie für 2500 Mark von den Herren Gantenberg und Schetter geclaimt wurde. Sie lief noch bis zum Alter von sieben Jahren auf den Bahnen an Rhein und Ruhr, gewann weitere vier Rennen, darunter einen Ausgleich III. Danach verschwand sie von der Bildfläche, in der Vollblutzucht wurde sie nicht eingesetzt, was eigentlich schade ist. Vielleicht hätten wir sonst auch bei uns heute noch weiße Rennpferde.

 

* * *

A

uf Youtube gibt es einen Bericht vom Union-Rennen 1985 und ein anschließendes Interview mit Georg Bocskai. Der hatte sich bereits vorher für Lirung als Derbypferd entschieden und gerade mit angesehen, wie der Kollege Andrzej Tylicki mit Acatenango als überlegener Sieger durchs Ziel gegangen war. Gefragt, ob er trotzdem glaube für das Derby die richtige Wahl getroffen zu haben, antwortete Bocskai deutlich verunsichert: „Wahrscheinlich. Vielleicht. Ich weiß nicht. Im Training geht Lirung immer besser“. Wie man heute weiß, waren die Zweifel über die eigene Wahl nur zu berechtigt und der Fall zeigt exemplarisch, wie schwierig es für einen Jockey manchmal ist, anhand von Trainingseindrücken zwischen zwei annähernd gleich guten Pferden zu wählen. Diese Erfahrung wird auch Andrasch Starke im Verlauf seines langen Jockeylebens schon gemacht haben und er machte sie erneut, als er vor der am Sonntag in Düsseldorf gelaufenen G3-Kalkmann Frühjahrs-Meile die Wahl zwischen Schwesterherz und Zavaro hatte. Schwesterherz, so hieß es, habe zu Hause deutlich besser gearbeitet. Aber Training und Rennen, das zeigte sich wieder einmal, sind eben zwei verschiedene Dinge.

Nach öffentlicher Form jedenfalls lag nicht viel zwischen den Beiden. Zavaro ging mit einer Marke von 92 kg ins Rennen, Schwesterherz mit 91 kg. Der Hengst hatte zudem noch einen Konditionsvorteil, denn nach einer Pause von 245 Tagen hatte er zuletzt in Compiegne ein Classe 3-Rennen in gutem Stil gewonnen. Die lange Unterbrechnung der Rennlaufbahn war zur Ausheilung einer Fissur notwendig geworden, die er sich im Auktionsrennen in Hamburg oder kurz danach zugezogen hatte.

Vorher hatte er schon mehrfach gezeigt, dass er in der besten Klasse zurecht kommt, war Zweiter im Busch-Memorial, Vierter im Mehl-Mülhens-Rennen und Dritter im Dortmund Grand Prix gewesen. Seit Sonntag ist er auf der Karriereleiter und auch im Ansehen des Handicappers noch ein Stück weiter nach oben gerückt. Eine Rechnung über Schwesterherz als Basis ergibt eine neue Marke von 93,5 kg (Rating 107). Damit stehen von den vierjährigen und älteren deutschen Meilern nur noch Rubaiyat (der aber auf Fliegerdistanzen umgestellt werden soll), Jin Jin, Runnymede, Fearless King und Lancade über ihm. Einge davon wird man in Düsseldorf am 30. Mai wiedersehen, wenn dort die G2-Badener Meile gelaufen wird.

 

* * *

I

m Frühjahr sieht man immer mit besonderer Spannung auf die Dreijährigen, denn selbst in jedem Sieglosenrennen kann schließlich der künftige Derbysieger stecken. Nun läßt der Beruf des Handicappers in der Regel nur wenig Raum für spekulative Zukunftsfantasien, andernfalls wären die Marken für einige siegreiche Dreijährige aus den letzten Wochen deutlich höher ausgefallen. Ich denke da vor allem an Diamantis (74 kg), Sun of Gold (77 kg) und Elegie (75 kg), deren Siege mir besonders im Gedächtnis geblieben sind. Eine Eigenart des deutschen Rennsystems, aber häufig auch eine Zumutung für den Handicapper ist die Regel, dass der Ausgleicher spätestens nach dem ersten Sieg eines Pferdes mit einer Marke herauskommen muss, selbst wenn sämtliche Teilnehmer eines Rennens Lebensdebütanten sind. Das war z.B. in Hoppegarten der Fall, als Lord Charming mit 3 ½ Längen gegen A winning Warrior gewann, 12 Längen dahinter der Rest. Wir haben erst einmal 75 kg gegeben. Das mag zuviel sein oder zuwenig, wer kann das schon wissen, wenn alle Pferde das erste Mal laufen.
Konfliktmaterial bieten manchmal auch kleinere Dreijährigenrennen, in denen Sieger zugelassen sind. 

Wie zum Beispiel das erste Rennen am Samstag in Mülheim. Die vier Sieger unter den sieben Startern landeten zwar alle schön vor den drei noch sieglosen Teilnehmerinnen. Nur dass der aus England importierte Wallach Jazzy Socks sich im Ziel als knapp geschlagener Dritter mitten in der Gesellschaft von 70-Kilo-Pferden wiederfand, verursachte Kopfzerbrechen. In England war Jazzy Socks schon neun Mal gelaufen, hatte mit extrem niedriger Marke ein kleines Handicap gewinnen können und war mit einem Rating von 54 nach Deutschland gekommen, was wir in ein GAG von 59 kg übersetzt haben. Das war eine vielleicht günstige Marke und es wäre wohl klüger gewesen auf die ersten Handicaps zu warten, in denen Dreijährige mitmachen dürfen. Das dauert ja auch nicht mehr lange. Jetzt aber ist das Kind in den Brunnen gefallen, wir mussten Jazzy Socks auf 66 kg anheben, wobei wir ihm in Anbetracht seiner geringen Vorleistungen sogar noch dreieinhalb Kilo von den eigentlich „gezeigten“ 69,5 kg geschenkt haben. Erwartungsgemäß war der Besitzer gleich am Telefon, aber was ist da zu machen? Die Leistung einfach ignorieren geht auch nicht, denn dann stiegen uns – und mit Recht – Trainer und Besitzer zukünftiger Konkurrenten aufs Dach. Mal sehen, wie es mit ihm weiter geht.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

Imagefilm

Deutscher Galopp Imagefilm