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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Von Geisterspielen und Geisterrennen

20. Mai 2020

Nicht nur für den professionellen Sprachforscher, auch für den etymologisch interessierten Laien dürfte von Interesse sein, wie es zur Bedeutungsänderung bei dem Wort „Geisterspiel“ und bei dessen nahem Verwandten, dem „Geisterrennen“, gekommen ist. Wörter bekommen ja manchmal eine neue oder zusätzliche Bedeutung. Man denke nur an die Maus, deren Bedeutungserweiterung vom possierlichen Nagetier zum Computerzubehör noch nicht lange zurückliegt. Unter einem „Geisterspiel“, um mit dem Fußball anzufangen, verstand man früher ein Spiel, bei dem zwar Zuschauer anwesend waren, diese aber wegen Nebel nichts sehen konnten. Solange man von der Mittellinie aus beide Tore erkennen konnte wurde gespielt, in der Bundesliga zuletzt im Dezember 1977, als bei der Partie 1860 München gegen den HSV selbst viele Spieler die vier Tore beim Unentschieden nicht sehen konnten. Danach kam eine Regeländerung. Heute muss man von einem Tor aus das andere sehen können, klassische Geisterspiele gibt es seitdem kaum noch. Dafür versteht man unter einem Geisterspiel neuerdings ein Spiel hinter verschlossen Türen, meistens wegen vorangegangener Fan-Ausschreitungen. Im deutschen Profi-Fußball fand ein solches Spiel erstmals am 26. Januar 2004 statt, als Alemannia Aachen gegen den 1.FC Nürnberg spielte, weil im ersten Spiel der Nürnberger Trainer von einem Wurfgeschoss am Kopf getroffen wurde.
Wie beim Fußball, so hat auch der Galopprennsport gelegentlich mit Nebel zu tun gehabt. Einmal, im November 1956, musste deswegen sogar ein Renntag in Neuss abgebrochen werden. Ein groß aufgezogenes Amateurreiten mit Olympiasiegern und Weltmeistern wie Hans-Günter Winkler, Pierre Jonquères d´Oriola und Willi Schultheis wurde noch gestartet, danach war Schluss – außer der Tatsache, dass Siegfried Heidemann mit Dompfaff als Sieger das Ziel erreichte, war nichts zu sehen gewesen. Nachdem nun nach Lockerung der Corona-Beschränkungen wieder Rennen – ohne Publikum – stattfinden dürfen, hat der bis dahin dem Fußball vorbehaltene „Geister“-Begriff auch auf den Galopprennsport abgefärbt, allenthalben ist von „Geisterrennen“ die Rede. Das wirkt eben plakativer als die von offizieller Seite favorisierte, aber an Behördendeutsch erinnernde Bezeichnung „Leistungsprüfungen“.
Was viele nicht mehr wissen: Pferderennen ohne Publikum sind nicht neu. Es gab sie schon einmal in der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte. Am 16. August 1944, beim „Braunen Band von Deutschland“ in München-Riem, waren als Folge von Hitlers Erlass über den totalen Kriegseinsatz zum ersten Mal Zuschauer ausgeschlossen. Danach folgten bis Saisonende noch 96 weitere solcher Renntage mit Leistungsprüfungen, der letzte am 1. Dezember 1944 in Dresden. Das Hauptrennen, den Winter-Ausgleich, gewann damals der von Heinz Jentzsch trainierte Peperl mit Georg Zuber im Sattel.

* * *

Fast auf den Tag genau vor 80 Jahren, am 19. Mai 1940, gab es in Hoppegarten eine Sensation, als Gestüt Zoppenbroichs Newam, der für unschlagbar gehaltenen Schwarzgold im Henckel-Rennen eine Niederlage beibrachte. Es war die letzte Niederlage der Schlenderhanerin. Bei ihren folgenden fünf Starts kam kein Gegner auch nur annähernd mehr in ihre Nähe, und nachdem sie im Großen Preis der Reichshauptstadt 100 Meter vor ihren Gegnern eingekommen war, wusste sich der damalige Ausgleicher Hans Wienrich nicht anders zu helfen, als ihr ein GAG von 115 Kilo zu geben. Ihr Ruf als einzige wirkliche Wunderstute im deutschen Galopprennsport hat die Zeitläufte überdauert, auch weil ihre Nachkommenschaft weiter Jahr für Jahr in aller Welt Erfolge feiert, so wie derzeit der japanische Spitzendreijährige Salios.

Zur Erinnerung an dieses Phänomen wird seit 2008 in Köln das G3-Karin von Ullmann-Schwarzgold-Rennen gelaufen, eine wichtige Vorprüfung für die deutschen 1000 Guineas, diesmal am 21. Juni in Düsseldorf. No Limit Credit hat sich mit ihrem Sieg am vorigen Sonntag in eine Favoritenstellung für diesen Klassiker gebracht. Traditionell ist dort aber mit starker Konkurrenz aus England zu rechnen, der letzte deutsche Sieg liegt nun schon 5 Jahre zurück. Zuletzt waren mit Hawksmoor, Unforgetable Filly, Nyaleti und Main Edition englische Stuten vorne.
No Limit Credit hatte ja bereits im vorigen Jahr gute Formen gezeigt und bei sechs Starts die Auktionsrennen von Dortmund und Baden-Baden mit jeweils großem Vorsprung gewonnen. Danach war sie auf schwerem Geläuf im Ratibor-Rennen als zweite Favoritin gegen den übermächtigen Wonderful Moon als Sechste allerdings ziemlich untergegangen. Ihr Jahres-GAG von 85,5 kg lag wohl trotzdem unter ihren Möglichkeiten. Aber bei der Bewertung von Auktionsrennen sind wir Handicapper schon seit längerem zurückhaltend, da sich dort regelmäßig Pferde sehr ungleicher Klasse treffen und wir den weniger guten durch zu hohe Ratings die Zukunft nicht verbauen wollen. Bei ihrem Sieg am Sonntag haben wir uns an der Marke von Schwesterherz orientiert, von der wir glauben, dass sie als nicht weit geschlagene Fünfte ihre Form ungefähr eingestellt hat. Dadurch kommt No Limit Credit auf 92,5 kg (Rating 105) und damit auf eine Marke, die zwar etwas unter der aus den letzten drei Jahren liegt (Axana 94, Bützje 93, Delectation 93), den Durchschnitt der letzten zehn Jahre aber genau trifft. Auch Democracy und Vive en Liberte als Nächstplatzierte konnten ihre Marken verbessern, dahinter sollte die Winterkönigin Ocean Fantasy noch nicht alles gezeigt haben.

Video: Schwarzgold-Rennen (Gr. III) - Siegerin: No Limit Credit

Das Karin von Ullmann-Schwarzgold-Rennen ist eines von nur zwei Grupperennen in Deutschland, das den Namen eines bedeutenden Pferdes aus der Vergangenheit trägt – das andere ist das in Hoppegarten gelaufene Oleander-Rennen (das in diesem Jahr voraussichtlich im Herbst gelaufen wird). Andere Länder sind damit weniger sparsam. So gibt es in England 13 Grupperennen, die nach überragenden Pferden benannt sind, darunter aus neuerer Zeit Brigadier Gerard, Mill Reef, Dahlia und Oh So Sharp. In Frankreich sind es zehn u.a. nach Allez France, Six Perfections und Miesque benannte Rennen, in Irland ebenfalls zehn. Eigentlich schade, dass sich z.B. für eine Stute wie Danedream bisher kein würdiger Renntitel gefunden hat. Sie hätte es verdient.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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