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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Schwimmen oder untergehen

11. November 2020

Als Herbst bezeichnen die Meteorologen den Zeitraum im Jahr, in dem die Erde sich auf ihrer elliptischen Bahn von der Sonne entfernt. Die Tage werden kürzer, die Sonne scheint nicht mehr so oft, die Menschen nehmen weniger Vitamin B12 auf und werden müde. Und auf den Rennbahnen ist der Boden weich oder sogar schwer. Dann schlägt die Stunde der Außenseiter, denn der Herbst ist auch die Jahreszeit der überraschenden Rennausgänge, angesichts derer einem oft nur übrig bleibt, sich mit dem Dichterwort zu trösten, wonach ein vollkommener Widerspruch gleich geheimnisvoll bleibt, für Kluge wie für Toren. Wer schon etwas länger dabei ist, dem fallen Namen ein wie Pawiment (1216:10), Acaio d´Aguilar (496:10), Days at Sea (304:19) oder Sharper (576:10), die es alle sensationell und auf weichem bis schwerem Boden zum Gruppe I-Sieger gebracht haben. Und fast 100 Jahre ist es her, seit Pan Robert, der König aller Außenseiter, am 26. Oktober 1924 auf der Rennbahn von Grunewald auf schwerem Geläuf das damals bedeutende Gladiatoren-Rennen zum Totokurs von 2248:10 gewann. Auch der Große Preis von Bayern hatte in seiner erst kurzen Münchener Zeit mit Guignol (337:10) schon einen Schocksieger zu verkraften gehabt. Am Sonntag nun, beim G1-Allianz Großen Preis von Bayern, kam eine weitere Überraschungssiegerin hinzu, denn mit Sunny Queen (237:10) gewann eine Stute, mit der kaum einer rechnen konnte.

Schwimmen oder untergehen. Das war auch in München-Riem die Maxime, denn der Boden war schwer – auch wenn der „GoingStick“ weich gemessen hat, obwohl nicht nur der Augenschein, sondern besonders die gemessenen Zeiten ganz anderes aussagten. Die Zeit, in der ein Rennen gelaufen wird, ist immer noch der zuverlässigste Indikator für den Zustand eines Geläufs, leider mit dem Nachteil, dass die Daten erst im Verlauf eines Renntages erhoben werden können. Die 2:40,97 Minuten, die Sunny Queen brauchte, um nach 2400 Metern im Ziel zu sein, sprechen eine deutliche Sprache und sind eine Folge der Bodenverhältnisse, denn es wird wohl niemand behaupten wollen, das Rennen sei verbummelt worden. Siege auf schwerem Geläuf werden oft skeptisch aufgenommen, wobei man diesen Pferden häufig unrecht tut. Auf schwerer Bahn kommt es zwar nicht so sehr auf Schnelligkeit an, dafür umso mehr auf Ausdauer, was schließlich auch eine Qualität ist. Es ist daher schlichtweg nicht einzusehen, warum ein Sieg auf weichem oder schwerem Boden weniger wert sein soll als eine Leistung auf festerem Untergrund.

Was heißt das nun alles für Sunny Queen und für den Großen Preis von Bayern? Die Camelot-Stute kam mit einem Rating von 92 kg an den Ablauf, eine Marke, die auch unter Berücksichtigung der anderthalb Kilo Stutenerlaubnis nie und nimmer zum Sieg hätte reichen dürfen. Aber Theorie ist bekanntlich, wenn man alles weiss und nichts klappt; mit dieser Erkenntnis muss auch der Handicapper gelegentlich Bekanntschaft machen. Im Fall von Sunny Queen lag eine Steigerung aber nicht aus der Welt, auch weil es am Sonntag erst ihr sechster Lebenstart war. Im Frühjahr hatte sie nach unglücklichem Debüt gleich ein Listenrennen mit acht Längen Vorsprung gewonnen (auf schnellem Geläuf) und danach sogar den Wettmarkt für den Henkel-Preis der Diana angeführt, bevor eine Verletzung sie stoppte. Das Comeback nach fast vier Monaten als Vierte im G2-Zastrow-Preis in Iffezheim konnte sich sehen lassen, zuletzt in Hannover scheiterte sie allerdings überraschend an einer nur wenig profilierten vierjährigen Stute aus Frankreich, so dass ihr Aufstieg zur Gruppe-1-Siegerin doch überraschen musste.

Trotzdem gibt es keinen Grund ihre Leistung in München in Zweifel zu ziehen. Sie schlug mit Torquator Tasso und Dicaprio die beiden höchstgerateten Pferde in Deutschland und auch der Abstand zum Viertplatzierten Secret Advisor passt, er kam mit einem offiziellen Rating von 114 (97 kg) nach München. Da bei ihm keine sicheren Erkenntnisse über eine Abneigung gegen extreme Bodenverhältnisse vorliegen (bei grauslichem Wetter und tiefem Geläuf war er sogar einmal Fünfter von 14 in einem wertvollen Handicap in Goodwood), darf man davon ausgehen, dass er nicht weit unter Form gelaufen ist. Wir gehen von 95 kg aus. Damit ergeben sich unter Berücksichtigung der Abstände und der Gewichtsverhältnisse für Dicaprio 97 kg, für Torquator Tasso 98,5 kg und für die Siegerin 97,5 kg (Rating 115).
Sunny Queen ist die erste dreijährige Stute seit Nightflower im Jahre 2015, die eines der fünf für sie offenen deutschen Gruppe-1-Rennen gegen Hengste oder Wallache gewonnen hat. Die anderen dreijährigen Stuten, denen das in den letzten 50 Jahren gelungen ist sind Danedream, Baila Me, Gonbarda, Elle Danzig, Borgia und Las Vegas. Keine schlechte Gesellschaft also.

* * *

"Ein guter Kauf und ein guter Verkauf sind keine geringeren Erfolge als Siege in großen Rennen“. Das sagte Baronin Gabrielle von Oppenheim 1969 in einem Gespräch mit der „Zeit“. Aber der Spruch passt auch gut zu Sunny Queen, die bekanntlich erst wenige Tage vor ihrem Münchener Sieg mit dem Cayton Park Stud einen neuen Besitzer bekommen hatte. Das in in der englischen Grafschaft Berkshire gelegene Gestüt, in dem Jahrhundertpferde wie Frankel und Dancing Brave groß geworden sind, war erst 2017 von Prinz Khalid Abdullah an südafrikanische Interessenten verkauft worden (Drakenstein Stud).
Was die Schlenderhaner Gestütsherrin mit ihrem Spruch aber meinte, war der Verkauf ihrer besten Stute Schönbrunn vor mehr als 50 Jahren an Daniel Wildenstein. Schlenderhan feierte gerade sein 100jähriges Bestehen und große Erfolge mit dem Derbysieger Don Giovanni und dem klassischen Doppel von Schönbrunn in Schwarzgold-Rennen und Preis der Diana. Damals kümmerte sich außerhalb Deutschlands noch kaum jemand um deutsche Pferde, die bis dahin einzig nennenswerte Aktion war 1957 der Verkauf der „Galopperin des Jahres“ Thila von Walter Eichholz an Francois Dupré. Doch Schönbrunns Erfolge und ihr Pedigree hatten das Interesse von Daniel Wildenstein geweckt, dem Pariser Kunsthändler und Züchter, und am 2. Juli 1969 verließ Schönbrunn den Kölner Rennstall von Heinz Jentzsch in Richtung Chantilly. Als Kaufpreis machte damals eine Summe von 500.000 Mark die Runde. Es wird erzählt, dass Daniel Wildensteins Sohn Alec den Asterblüte-Stall von außen zunächst etwas skeptisch musterte und von Gestütsleiter Ewald Meyer zu Düte mit den Worten „aber Hauptsache ist doch, was drinsteht“ zum Betreten aufgefordert werden musste. In dem auch heute noch sehr lesenswerten„Zeit“-Artikel bekannte Baronin Oppenheim, der Verkauf sei schnell, aber nicht schmerzlos vor sich gegangen, sie habe weinen müssen.
Ich erzähle das alles, weil Sunny Queen über ihre Mutter Suivi in fünfter Generation auf eben diese Schönbrunn zurückgeht. Der Schönbrunn-Deal muss für Wildenstein einer seiner besten gewesen sein, denn sie gewann für ihn nicht nur den Grand Prix de Deauville, sondern sorgte mit ihrer Nachzucht für eine Fülle von Klassepferden, angeführt vom Arc-Sieger Sagace und dem US-Grasbahnchampion Steinlen. Georg von Ullmann brachte die Linie 1991 durch den Ankauf von Schönbrunns Urenkelin Suivez zurück nach Schlenderhan, die dort vor allem den G2-Sieger Simoun brachte, aber auch Soignee, deren in Frankreich gezogene Tochter Stacelita sechs Gruppe I-Rennen gewann und in Japan die Championstute Soul Stirring brachte. Die Familie feiert also rund um die Welt größte Erfolge und es spricht einiges dafür, dass auch Sunny Queen eines Tages ihren Teil dazu beitragen wird. Grund zur Freude hatte auch Dr. Stefan Oschmann, der Sunny Queens Mutter Suivi vor einige Jahren von Schlenderhan übernommen hat, also Züchter von Sunny Queen ist. Vor Sunny Queen hatte Suivi bereits eine Reihe guter Pferde gebracht, darunter mit Soum und Suestado zwei Derbystarter, von denen Suestado in dem von Wiener Walzer gewonnenen Derby sogar als 39:10-Favorit gestartet war. Eine von Isfahan stammende Schwester von Sunny Queen namens Sima befindet sich derzeit im Rennstall von Henk Grewe, mit Nennung für den Henkel-Preis der Diana im kommenden Jahr.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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