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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Schnutenpulli und Fiebermessen

15. Juli 2020

Alles anders!“ Dieser Satz trifft in Corona-Zeiten ja auf alles Mögliche zu. Also auch auf das Derby. Schnutenpulli (norddeutsch für Mund- und Nasenschutz), Abstand halten, Selbstauskunft und Fiebermessen. Keine Zuschauer. Oder fast keine, jedenfalls. Nur einige hundert Menschen waren beim 151. IDEE Deutschen Derby 2020, das als „Corona-Derby“, wahlweise „Geister-Derby“, in die Geschichte eingehen wird. Das hatte zur Folge, dass man nahezu jeden persönlich kannte. Die Begrüßung erfolgte entsprechend den Vorgaben des „Deutschen Knigge-Rates“ verbal und auf Abstand, bei guten Bekannten auch schon mal durch den „Elbow-Bump“, aber Vorsicht – nur wenn vorher nicht in den Ellenbogen hineingehustet wurde. Die Corona-Polizei patroullierte auf der Bahn, bis auf leichte Ermahnungen gab es keinen Grund zum Einschreiten. Die Versorgung mit Speis' und Trank durch einen Getränke-, IDEE-Kaffee- und Würstchen-Stand verlief überraschend reibungslos, auch wenn sich gelegentlich Schlangen bildeten und die Pommes am Derbytag schon nach der Hälfte des Programms aus waren. Rustikal ging es ohnehin zu: Das Krombacher wurde aus Flaschen getrunken und beim Currywurst-Essen aus der Pappschachtel musste man auf Mayo und Ketchup Obacht geben. Ein kleiner Unfall diesbezüglich wäre aber keine Katastrophe gewesen, denn die elegante Derbygarderobe war ohnehin zu Hause im Schrank geblieben. Kein Hauch von Ascot diesmal, nirgends.
Alles anders – und doch genauso wie immer. Die Spannung vor dem wichtigsten Rennen des Jahres, die tausendmal gestellte Frage „Wer gewinnt das Derby?“, das Grübeln über das Stellpferd für die Dreierwette. Man mag anderswo darüber lamentieren, dass das Derby nicht mehr das ist, was es einmal war. In Irland zum Beispiel, wo es mehr und mehr zu einer internen Stallmeisterschaft des Trainers Aidan O'Brien verkommt. Oder in England, wo – wie kürzlich in der „Racing Post“ zu lesen – der Sieger des Epsom Derbys neuerdings nicht mehr ruhmbekränzt in seinen Stall zurückkehrt, sondern – durch seine nachgewiesenen Stehereigenschaften entwertet – die Fahrkarte zum nächsten Gestüt für Hindernispferde gleich mit nach Hause nehmen darf. Für den deutschen Züchter und Besitzer aber steht auch nach 151 Jahren das Derby immer noch ganz oben auf der Wunschliste und es fasziniert die Anhänger dieses Sports wie eh und je. Zu Recht, denn die diesjährige Ausgabe des Deutschen Derbys war ein Rennen wie aus dem Bilderbuch. Schönes Wetter, gutes Geläuf, ein flotter und fairer Rennverlauf mit einem Ende voller Dramatik. Dass im Ziel mit In Swoop und Torquator Tasso ausgerechnet die beiden Pferde vorne waren, die zuvor bei nur zwei Starts die Unerfahrensten waren, ist bezeichnend für dieses ungewöhnliche Jahr, in dem die Grasbahnsaison erst am 7. Mai und damit so spät, wie noch nie begonnen hatte.
So schön dieses Derby auch war, der Handicapper muss auf dem Boden der Tatsachen bleiben und das Geschehen nüchtern bewerten. Das Maß aller Dinge in diesem Derbyjahrgang war bisher Wonderful Moon. Er beendete das vergangene Jahr bekanntlich mit einem triumphalen 12-Längen-Sieg im Ratibor-Rennen und begann das Jahr 2020 ebenso grandios mit einem Sieg im Cologne Classic, als er über 2100 Meter Grocer Jack mit 1 ¾ Längen schlug – es wären aber sechs oder noch mehr Längen gewesen, hätte sein Reiter ihn nicht auf den letzten 100 Metern extrem verhalten. Fünf Wochen später beim Union-Rennen über 2200 Meter war man schon nicht mehr so begeistert, als er Grocer Jack diesmal trotz Aufforderung nur noch mit einer knappen Länge in Schach halten konnte. Jetzt, beim Derby über eine zusätzlich 200 Meter weitere Strecke, kam es zu einer Formumkehr. Sein ständiger Weggefährte Grocer Jack wurde Dritter und ging diesmal anderthalb Längen vor Wonderful Moon, der Sechster wurde, durchs Ziel. Es ist also eine deutliche Tendenz zu erkennen: Die Formkurve von Wonderful Moon zeigt bei zunehmender Distanz nach unten, die von Grocer Jack nach oben. Es spricht demnach viel dafür, dass Wonderful Moon auch im Derby wiederum etwas unter seiner vorherigen Form geblieben ist, während Grocer Jack sie gesteigert hat.

Hamburg: IDEE 151. Deutsches Derby (Gr. 1)

Entsprechend haben wir 94 kg für Wonderful Moon als Grundlage für die Rechnung in diesem Derby genommen, so dass der Sieger In Swoop auf eine Marke von 96,5 kg (Rating 113) kommt. Das ist ein halbes Kilo mehr als am Montag veröffentlicht, aber nach Kontakt mit den französischen Handicappern (In Swoop wird bekanntlich in Frankreich trainiert) haben wir das Rennen um ein Pfund nach oben korrigiert. Die neuen GAGs für die platzierten Pferde sind jetzt 95,5 kg für Torquator Tasso, 95 kg für Grocer Jack und 94,5 kg für Kaspar.
96,5 kg sind für einen Derbysieger nicht viel. Laccario, Weltstar und Windstoß hatten in den Jahren zuvor jeweils ein Kilo mehr bekommen. Aber beim Derbyjahrgang hat es bisher kaum einen Grund gegeben, in Jubelstürme auszubrechen. Das kann sich alles noch ändern, die Saison ist noch lang. Die Erfahrung aus den letzten Jahren hat mich allerdings skeptisch gemacht. Angefangen mit dem Derby von Nutan (2015) ist es den vier Erstplatzierten eines Derbys auch in den nachfolgenden Jahren kaum gelungen, sich im Laufe der Saison noch weiter zu verbessern, so wie das in den Jahren vor 2015 regelmäßig der Fall gewesen ist. Es sollte einen aber doch wundern, wenn für In Swoop, der nicht nur durch sein Rennvermögen begeisterte, sondern auch durch sein bestechendes Aussehen, nicht noch Luft nach oben ist. Diese Hoffnung ist auch bei den Nächstplatzierten dieses Derbys berechtigterweise vorhanden. Sie alle haben Nennungen für die kommenden großen Rennen, wo es dann gilt, sich gegen die älteren Pferde zu bewähren.

* * *

Nach dem Derby ist vor der Diana. Das ist in jedem Jahr so, aber diesmal trifft es in besonderem Maße zu, denn der Henkel-Preis der Diana ist schon in zweieinhalb Wochen. Alle Vorbereitungsrennen sind gelaufen, es waren recht zahlreiche, so dass sich auch viele Stuten für einen Start qualifiziert haben. 16 Plätze stehen zur Verfügung und es könnte eng werden. Deshalb hier schon einmal vorab eine vorläufige Liste der noch startberechtigten Stuten bis zu einem GAG von 80 kg. Bitte hier klicken. Die Liste ist nicht endgültig. Die Reihenfolge kann sich noch durch Starts von Pferden ändern, die in Beziehung zu potenziellen Diana-Starterinnen stehen.

Der nächste Handicapper-Blog erscheint erst wieder am Mittwoch, den 29. Juli, nach dem Dallmayr-Preis.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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