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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Sammarco, das „Kampfschwein“

3. August 2022

Zugegeben: Der Handicapper-Blog kommt in diesem Jahr reichlich spät vom Start. Ich musste mich auf die Fertigstellung des Jubiläumsbuchs für den deutschen Galopprennsports konzentrieren, da blieb kaum noch Zeit für Anderes. Das ist jetzt geschafft, das Buch ist auch schon gedruckt (im Deutschen Sportverlag), und wenn die Buchbinder es schaffen, soll es Ende nächster Woche mit dem Titel „200 Jahre – 200 Momente“ erscheinen.

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as ist jetzt geschafft, das Buch ist auch schon gedruckt (im Deutschen Sportverlag), und wenn die Buchbinder es schaffen, soll es Ende nächster Woche mit dem Titel „200 Jahre – 200 Momente“ erscheinen. Unter Verwendung 200 markanter Daten werden auf 280 Seiten zwei Jahrhunderte deutsche Rennsportgeschichte ausgebreitet – angefangen beim Sieg Wilhelm von Biels mit seiner Stute Pamina am 10. August 1822 in Doberan bis zum Erfolg von Torquator Tasso im Prix de l´Arc de Triomphe am 3. Oktober 2021 in Longchamp.

Buch 200 Jahre – 200 Momente
 

Vor ungefähr 20 Jahren spielte beim FC Schalke 04 der Belgier Marc Wilmots, den alle wegen seiner leidenschaftlichen Art Fußball zu spielen nur das „Kampfschwein“ nannten. Auch der Entertainer Stefan Raab wurde seinerzeit als Kampfschwein des Senders Pro Sieben bezeichnet. Wenn dieser Begriff also schon auf ehrenwerte Menschen angewendet wird, dann sollte es nicht despektierlich sein, ihn auch auf ein edles Rennpferd zu übertragen. Denn was Sammarco bei seinen letzten drei Auftritten auf der Rennbahn an Kampfwillen gezeigt hat, ist einzigartig. Nachdem der körperlich eher kleine Hengst schon das Union-Rennen mit „Kopf“ und das Derby mit einem „kurzen Kopf“ an sich gerissen hatte, musste er auch im Dallmayr-Preis am vorigen Sonntag in München-Riem an alle verfügbaren Reserven gehen, um am Ende wieder einmal als Sieger gefeiert zu werden. Immerhin war es diesmal eine dreiviertel Länge, aber es sah schwerer aus. Sammarcos Aufgabe war allerdings bei allem Respekt vor den Gegnern nicht gerade unlösbar, die Gelegenheit für Heldentaten wird erst noch kommen. Als Hauptgegner war die Aga Khan-Stute Ebaiyra ausgemacht, eine Fünfjährige, die bei ihren zuvor elf Starts auf Gruppeebene nur zweimal auf etwas mehr als 94 kg gekommen war. In diesem Jahr ist sie wieder bei ihren obligatorischen 94 angelangt, und so musste es doch etwas verwundern, dass sie vom wettenden Publikum als klare Toto-Favoritin ins Rennen geschickt wurde. Im Ziel war sie Dritte, ihre 94-Kilo-Marke haben wir auch als Ausgangspunkt für unsere Berechnung dieses Dallmayr-Preises genommen. Sammarco kommt danach auf 97 kg, hat sich gegenüber dem Derby also noch leicht verbessern können. Auch Amazing Grace und der Viertplatzierte Queroyal warteten mit Bestleistungen auf (94,5 kg).

Bemerkenswert am Start von Sammarco ist auch, dass er bereits vier Wochen nach seinem Derbysieg erfolgte. Vielleicht fördert sein Sieg die Erkenntnis, dass es womöglich doch nicht die beste Idee ist, einem in Hochform befindlichen Rennpferd eine Pause von acht bis neun Wochen bis zum nächsten Start zu geben. Seit einigen Jahren ist das regelmäßig so gehandhabt worden. Von den sechs Derbysiegern vor Sammarco, die im Anschluss an ihren Derbysieg im selben Jahr noch gelaufen sind, kamen fünf erst nach einer Pause von acht bis neun Wochen wieder heraus, meistens im Großen Preis von Baden. Lediglich Nutan startete bereits fünf Wochen später wieder im Großen Preis von Berlin. Gewinnen konnte keiner von ihnen. Jetzt wurde Sammarco vier Wochen nach seinem Derbysieg wieder herausgebracht und machte es Pastorius zehn Jahre nach dessen Sieg im Dallmayr-Preis nach.
Die Zeiten haben sich bekanntlich geändert. Heute stellt niemand mehr einem Pferd Aufgaben, wie es noch Heinz Jentzsch und Uwe Stoltefuß getan haben, als sie ihre Derbysieger Alpenkönig und Mondrian anschließend alle drei Wochen an den Start brachten und dabei mit ihnen den Großen Preis von Berlin, den Aral-Pokal und den Großen Preis von Baden gewannen. Aber eine Pause von vier bis fünf Wochen zwischen zwei Starts sollte einem gesunden Spitzenpferd, das ja auch auf seine Härte geprüft werden soll, zugemutet werden dürfen. Vor kurzem bin ich durch Zufall auf eine Äußerung des hochangesehenen Hippologen Siegfried Graf Lehndorff (der Dark Ronald nach Deutschland gebracht hat) gestoßen, die dieser in seinem 1956 erschienenen Buch „Ein Leben mit Pferden“ gemacht hat und die wie folgt lautet: „ Die schwierigste Aufgabe für einen Trainer ist meiner Ansicht nach, die Dreijährigen für die klassischen Rennen vorzubereiten und sie dann in Höchstform zu halten. […] Manche Trainer machen, wie mir scheint, den Fehler, dass sie den Pferden nach einem großen Rennen zu lange Ruhe gönnen und dass sie dann genötigt sind, die Pferde zu schnell wieder in Kondition zu bringen, wodurch sie leicht ihre Form verlieren.“

 

Sammarco hat jetzt fünf Wochen Zeit bis zu einem Start im Großen Preis von Baden. Dort wartet ein gewisser Torquator Tasso auf ihn – ein Duell, dem ganz Rennsport-Deutschland gespannt entgegenblickt. Über Torquator Tassos tadellose Leistung in Ascot muss natürlich auch noch gesprochen werden. Die King George VI and Queen Elizabeth Stakes wurden im Vorfeld von der englischen Presse in den Rang eines „Rennens des Jahres“ erhoben, umso kleinlauter waren die Kommentare hinterher, nachdem alles anders gekommen war, als man sich vorgestellt hatte. Doch nicht nur die Tatsache, dass mit Pyledriver und Torquator Tasso die beiden vom Wettmarkt am wenigsten beachteten Kandidaten vorne landeten machen dieses Rennen zu einem Rätsel, sondern mehr noch, wie das geschah. Erst 8 Längen hinter den Beiden kam Mishriff ins Ziel, dann Broome und meilenweit zurück, außer Sichtweite geschlagen, folgten die beiden Favoriten Westover und Emily Upjohn. Was war da passiert? Ein Grund für diese im Ziel so außergewöhnlich großen Abstände könnte in der Anfangsphase des Rennens zu suchen sein, denn es wurde viel zu schnell angegangen. Ein Blick auf die „sectional times“, also die alle 200 Meter gemessenen Zwischenzeiten, zeigt, dass das erste Drittel des Rennens überpaced war. Die zweiten 200 Meter wurden von allen Teilnehmern in weniger als 11 Sekunden bewältigt, der schlecht vom Start gekommene Mishriff schoss dabei mit 10,66 Sekunden den Vogel ab – das entspricht einer Geschwindigkeit von nahezu 70 km/h. Am langsamsten waren in diesem Abschnitt Pyledriver und Torquator Tasso, sie sparten Kräfte, so dass sich bereits hier das Ende andeutete. Beide waren zudem die besten Steher im Feld und konnten das hohe Tempo bis zum Schluss einigermaßen durchhalten, während alle anderen regelrecht einbrachen.
Hinter dem Rennen stehen also einige Fragezeichen, so dass das Rating hinter den Erwartungen bleiben muss. Pyledriver ist ein Fünfjähriger, der schon einige Meilen auf dem Konto hat und für den als Bestmarke bisher 120 (GAG 100) zu Buche standen. Die internationalen Handicapper haben sich für ihn auf eine neue Bestmarke von 124 (102 kg) geeinigt, so dass sich für Torquator Tasso eine gezeigte Leistung von 120 (100 kg) ergibt.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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