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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Pegasus bleibt im Stall

17. Juni 2020

Der Pegasus ist bekanntlich das geflügelte Pferd in der griechischen Mythologie, das nicht nur alle wahren Dichter als Sinnbild der Dichtkunst reiten, es wird auch gerne als Symbol für Geschwindigkeit verwendet. Schon Cicero hat in einer frühen Rede den Pegasus als Inbegriff der Schnelligkeit gepriesen, eine amerikanische Trägerrakete trägt seinen Namen, und nicht zuletzt verspricht der legendäre Laufschuh „Pegasus 37“ von Nike „Leichtigkeit und Schnelligkeit, die zu einer rasanten Einheit verschmelzen“ – so jedenfalls der Hersteller.
Unter den heutigen deutschen Rennpferden darf am ehesten in Wonderful Moon ein Pegasus vermutet werden, enteilte er doch zuletzt seinen Gegnern, als seien ihm Flügel gewachsen. Und so war man auch zum G2-Sparkasse KölnBonn-Union-Rennen auf ein Spektakel vorbereitet, doch diesmal blieb der Pegasus im Stall – Wonderful Moon hatte seine Flügel abgeworfen und erschien in seiner ursprünglichen Gestalt als gewöhnliches Rennpferd. Das hatte zur Folge, dass sein Sieg nicht überirdisch, sondern ganz alltäglich ausfiel. Eine – allerdings komfortable – dreiviertel Länge nur trennte ihn von Grocer Jack, eine weitere halbe Länge dahinter der unglückliche Palao und damit die beiden Pferde, mit denen er vor sechs Wochen beim Cologne Classic an gleicher Stelle noch gespielt hatte. Man darf in den kommenden Wochen also spekulieren, was passiert ist. War der Derbyfavorit nicht ganz fit, hatte er nur einen gebrauchten Tag erwischt, oder sind die anderen besser geworden? Wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Andrasch Starke sagte unmittelbar nach dem Rennen, dass er diesmal vergebens darauf gewartet hat, dass Wonderful Moon im Finish die Beine wechselt und sich dadurch mit neuer Energie von seinen Gegnern löst. Im Englischen nennt man das „turn of foot“, und das ist die begehrteste Eigenschaft, die ein Rennpferd besitzen kann.

Video: Sparkasse KölnBonn-Union-Rennen (Gr. II) - Sieger: Wonderful Moon

Als Handicapper haben wir die Leistung von Wonderful Moon mit 94,5 kg (Rating 109) bewertet, also drei Pfund unter seiner aktuellen Marke von 96 kg. Im Vergleich zu vorherigen Siegern dieses ältesten deutschen Pferderennens ist das eher wenig. Sein Vater Sea The Moon kam bei seinem Union-Sieg – wie zuvor auch Novellist – auf einen Spitzenwert von 97 kg, Laccario (was macht er eigentlich derzeit?) im Vorjahr auf 96,5 kg. Wonderful Moons Gegner haben nach diesem Union-Rennen aufgeholt. Grocer Jack verbesserte sich auf 93,5 kg und für den Fünftplatzierten Kaspar stehen jetzt 92,5 kg zu Buche. Palao ist leider auf die schlimmstmögliche Weise aus dem Derbyrennen ausgeschieden, der Viertplatzierte Tax for Max hat keine Nennung für Hamburg.
Das Fragezeichen hinter einem Derbysieg von Wonderful Moon, das eigentlich kaum mehr vorhanden war, ist seit Sonntag wieder größer geworden ist. Nachdem am Montag das Münchener Derby-Trial gelaufen wurde und mit Dicaprio einen beeindruckenden, allerdings nach bisher erst zwei Starts auch unerfahrenen Sieger hatte, steht jetzt nur noch eine Vorprüfung für das Blaue Band im Programm, in Hannover am 28. Juni. Für die aktuelle Rangfolge der Derbypferde bitte hier klicken.

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Der Prix de l'Avre, der am Sonntag in Chantilly gelaufen wurde und in dem mit Mare Australis und Frohsim zwei Pferde vorne waren, die nicht nur deutsche Besitzer haben, sondern auch noch im Horner Derby startberechtigt sind, hat schon häufig deutsche Pferde am Start gesehen. Es begann 2006 mit einem Sieg von Gestüt Ittlingens Lauro, der zuvor schon ein Maidenennen in Bremen mit 11 Längen gewonnen und danach in einem Course-B-Rennen in Chantilly den späteren Arc-Sieger Rail Link geschlagen hatte.

Er war danach uneingeschränkter Derbyfavorit, wurde im Union-Rennen aber als 16:10-Favorit von Aspectus geschlagen und war dann im Derby auch nur Siebter. Er litt wohl unter Nasenbluten, ging nach Amerika, wo er noch ein Gruppe-2-Rennen gewinnen konnte. Danach waren im Prix de l´Avre aus deutschen Ställen noch Next High (4.), Ibicenco (3.), Guignol (5.), Walsingham (3.) und Apadanah (6.) am Start.
Der diesjährige Sieger Mare Australis gehört zu den Schlenderhaner Pferden, die am Ende der vorigen Saison nach Frankreich gewechselt sind. Er tat sich lange mächtig schwer, sein Reiter gab aber nie auf und als er endlich den nötigen Schwung gefunden hatte, war das Ziel fast schon da. Er schaffte es aber doch noch irgendwie, an den bis dahin führenden Frohsim vorbeizukommen, für den das Deutsche Derby fest ins Auge gefasst ist. Ob auch Mare Australis nach Hamburg kommt, erscheint fraglich. Das Rennen könnte für ihn noch zu früh kommen und auch die Horner Kursführung scheint für diesen großen Steher wenig geeignet. Viel wurde für den Sieg nicht verlangt, mein französischer Kollege vergab ein Rating von 97, was einem GAG von 88,5 kg entspricht. Frohsim, um einen Hals geschlagen, kommt auf 88 kg. Schlenderhan könnte noch durch den von Francis-Henri Graffard trainierten Ito-Bruder In Swoop im Derby vertreten sein. Er war zuletzt Dritter im G2-Prix Greffulhe und steht bei einem Rating von 103 (91,5 kg).

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Im 5. Rennen am Montag in München-Riem erschien die vierjährige Stute Allegretta am Ablauf. Es war ihr zweiter Start, zuvor war sie in einem Sieglosenrennen Sechste und auch diesmal langte es nur zu Platz acht. Ihre Züchter handelten geradezu verwegen, als sie der Stute diesen Namen mit auf den Lebensweg gaben, denn die andere, 1978 im Gestüt Schlenderhan geborene Lombard-Tochter Allegretta, ist eine Legende und zählt zu den weltweit einflussreichsten Stuten der letzten 40 Jahre. Als Mutter des 2000 Guineas-Siegers King's Best, vor allem aber der Arc-Siegerin Urban Sea sowie als Großmutter der Ausnahmepferde Galileo und Sea The Stars, erlangte sie den Status einer „Blue Hen“, was gleichbedeutend mit dem Einzug in die „Hall of Fame“ für Zuchtstuten ist. Galileo hat kürzlich als Vater der 1000 Guineas-Siegerin Love seinen 85. individuellen Gruppe-I-Sieger gestellt und damit Danehill als Rekordhalter auf diesem Gebiet abgelöst. Da er noch vier Jahrgänge in Reserve hat, zudem auch noch lebt und aktiv ist, dürfte sein 100. Gruppe-I-Sieger nur eine Frage der Zeit sein.
Allegretta hatte neben Urban Sea auch noch andere herausragende Töchter, darunter Turbaine, die für Schlenderhan Tertullian brachte, ein ausgezeichnetes Rennpferd und später auch Champion-Deckhengst. Dieser Linie gehört auch Torquator Tasso an, der am Sonntag auf erstaunliche und beeindruckende Weise in Köln ein Sieglosenrennen für Dreijährige gewann und dabei enormes Stehvermögen verriet. Eine Rechnung über die Gegner erlaubt zwar nicht mehr als ein vorläufiges Rating von 70,5 kg, er dürfte aber weit mehr können. Ein Start im Derby käme gewiss zu früh, seine Besitzer haben außerdem mit Adrian ein chancenreiches Pferd für Hamburg im Rennen. Torquator Tasso, ein 24.000 Euro-Jährlingskauf bei der BBAG Herbst-Auktion 2018, hieß damals Tijuan Hilleshage. Der Wunsch nach Namensänderung ist nachvollziehbar. Warum dem italienischen Renaissance-Dichter Torquato Tasso allerdings ein weiterer Buchstabe hinzugefügt wurde, wird noch aufzuklären sein.

Torquator Tasso siegt unter B. Murzabayev am 14.06.2020 in Köln; Copyright: Marc Rühl
Torquator Tasso siegt unter B. Murzabayev am 14.06.2020 in Köln; Copyright: Marc Rühl
 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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