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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Nicht von Pappe

22. September 2020

Der 1739 geborene Fürst Grigori Alexandrowitsch Potemkin war bekanntlich nicht nur der Favorit der Zarin Katharina, er hat der Legende nach auch die Attrappe in die Politik eingeführt. Nur Häuserfronten habe Potemkin errichten lassen und mit dieser Vorspiegelung seiner Herrscherin blühende Landschaften vorgetäuscht. Eine Legende, die, wie man inzwischen weiß, falsch ist, denn die Potemkinschen Dörfer waren echt und nicht von Pappe. So wie auch an dem inzwischen neunjährigen Wallach Potemkin im Besitz von Klaus Allofs und der Stiftung Gestüt Fährhof alles aus echtem Schrot und Korn ist. Am Sonntag gewann er in Mailand den G3-Premio Piazzale mit fast vier Längen Vorsprung. Für ein Rennpferd seines Alters eine herausragende Leistung.

Das Alter eines Rennpferdes wird ja immer wieder einmal in Frage gestellt, manchmal soll es zu jung, dann wieder zu alt sein. Dabei ist gegen ein altes Rennpferd gar nichts einzuwenden, solange es nur gesund und leistungsbereit ist. Es gibt unzählige Beispiele für erfolgreiche „alte“ Rennpferde, erst vor zwei Wochen habe ich an dieser Stelle über den Veteraneneinlauf beim G3-Preis der Sparkassen in Iffezheim geschrieben. Potemkin ist jetzt neun, damit ist er – wenn ich keinen übersehen habe – zusammen mit Lucky Strike, der in diesem Alter die G3-Silberne Peitsche gewonnen hat, das älteste in Deutschland trainierte Pferd, das ein Grupperennen gewonnen hat. Noch älter war allerdings mit 10 Jahren der eisenharte Yavana Pace, der 2002 den G1-Credit Suisse Banking-Pokal in Köln gewann, der aber in England von Mark Johnston trainiert wurde. Er ist auch bis heute der älteste Gruppe-I-Sieger in Europa seit Einführung des Grupperenn-Systems im Jahre 1971, allerdings machte es ihm der englische Wallach Alcazar drei Jahre später bei seinem Sieg im G1-Prix Royal Oak nach. Das ist aber noch gar nichts gegen den von Ilse und Andreas Brunotte gezogenen und ehemals im Besitz des Gestüts Ittlingen befindlichen Lando-Sohn Caracciola, der 2009 im Alter von 12 Jahren die Queen Alexandra Stakes gewann und damit das älteste Pferd ist, das jemals in der mehr als 250-jährigen Geschichte von Royal Ascot ein Rennen gewonnen hat. 

In seiner jetzt schon sieben Jahre andauernden Rennkarriere war es für Potemkin der 16. Sieg beim 33. Start, fast jeder zweite Start also ein Treffer. Er war ursprünglich auch fürs Derby genannt, wurde im März 2014 aber gestrichen und kam dreijährig erst im Sommer zweimal heraus, wobei er beide Male platziert lief, darunter Dritter in einem Auktionsrennen. Vierjährig gewann er bei 7 Starts 6 Rennen, steigerte sich dabei von der Sieglosenklasse und einem GAG von 69 kg bis zum Erfolg im G3-Preis der Deutschen Einheit und ein GAG von 95,5 kg (Rating 111). 2016 wurde seine beste Saison, mit Siegen im G3-Preis der Dortmunder Wirtschaft, G2-Prix Dollar in Longchamp und im G1-Premio Roma. Bis auf das Jahr 2017 konnte er auch in jedem der folgenden Jahre ein Gruppe-Rennen gewinnen – 2018 die Baden-Württemberg-Trophy, 2019 den Großen Preis der Dortmunder Wirtschaft und jetzt den G3-Premio Piazzale.

Nun mag man einwenden, dass Italien auch nicht mehr das ist, was es früher einmal war, aber Potemkin traf immerhin auf einige der besten italienischen Meilenpferde. Und auf Wonnemond, der Dritter wurde und bei 90,5 Kilo steht. Über ihn gerechnet ergibt sich für Potemkin eine neue Marke von 94 kg (bisher 92 kg. Er wird wohl noch einmal laufen, in der diesmal in Hannover gelaufenen Baden-Württemberg Trophy am 25. Oktober. Danach wartet auf ihn eine neue Aufgabe, denn er soll demnächst den inzwischen 18 Jahre alten Quijano als Führpferd beim Anlernen der Jährlinge im Gestüt Fährhof ablösen.

* * *

Wie weit ist zu weit? Elf Längen vielleicht? Mit diesem Vorsprung gewann Nerium am Schlusstag der Großen Woche einen Ausgleich II. Darf ein Pferd ein Handicap mit solch einem Vorsprung gewinnen? Eigentlich nicht, aber manchmal passiert es doch, und wenn es sich dabei um ein junges, in seinem Leistungsvermögen noch nicht erkanntes Pferd handelt, dann ist das auch nicht schlimm. Vor Nerium ist das auch schon anderen Pferden gelungen, den meisten dürfte der 11-Längen-Sieg des dreijährigen Iquitos beim Frühjahrs-Meeting 2015 im Ausgleich III noch in Erinnerung sein. Oder die 15 Längen, mit denen Northern Rock, auch in Baden-Baden und auch im Ausgleich III, ein Jahr später siegte. In Erinnerung geblieben ist mir auch ein 14-Längen-Sieg der Ittlingen-Stute Abitara vor langer Zeit in Bremen, die sich auch danach nicht aufhalten ließ und es bis zur Gruppe-II-Siegerin in Deauville brachte, im Prix de Pomone. 

Elf Längen ist auch abseits des Handicap-Sports ein erstaunlich oft zu beobachtender Vorsprung. Die 11 Längen, mit denen Sea The Moon das Derby gewann, sind gewiss noch jedem präsent. Aber auch der Schlenderhaner Tiberius Caesar war 2004 im G3-Preis der Hansestadt Bremen mit 11 Längen voraus, ebenso die zweijährige Stute Massada 1995 im Preis der Winterkönigin. Aus dem internationalen Rennsport wären Hawk Wing, Harbinger und Frankel zu nennen, die alle mit 11 Längen in Gruppe-I-Rennen erfolgreich waren. Hawk Wing 2003 in den Lockinge Stakes, Harbinger 2010 in den King George VI and Queen Elizabeth Stakes und Frankel 2012 in jenen Queen Anne Stakes in Ascot, als er sich mit 140 (110 kg) sein höchstes Rating holte. Die Zahl des rheinischen Karnevals scheint es also irgendwie in sich zu haben.

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Von der Großen Woche ist noch etwas nachzuholen, etwa das Oettingen-Rennen, das seit 1970 als Nachfolge der Badener Meile im Programm der Großen Woche steht. Das Rennen war international meistens stark besetzt, so dass von den bisher 51 Siegern nur 22 aus Deutschland kamen. 19 Mal war ein englischer Stall erfolgreich, 9 Mal ein französischer und einmal ging das Rennen in die Tschechische Republik. Diesmal wieder England. Dabei hätte man noch in der Zielgeraden nicht mehr viel gegeben um einen Sieg von Dark Vision, der noch 300 Meter vor dem Ziel stark geritten an letzter Position auszumachen war. Aber vom letzten Platz kommend gewann er auch zweijährig in Goodwood die G2-Vintage Stakes und im Juni in Royal Ascot den Royal Hunt Cup, ein heißes Meilen-Handicap gegen 22 Gegner. In der Zeit zwischen diesen beiden Erfolgen blieb er bei 13 Starts sieglos, arbeitete sich bis zu seinem Sieg im Handicap auf 90 Kilo runter. Der Sieg in Iffezheim war 96,5 kg (Rating 113) wert, das brachte ihm ein Aufgewicht von 4 Pfund für das Cambridgeshire Handicap am Samstag in Newmarket ein. Sollte er dort nicht laufen, steht ein Gruppe II-Rennen am Freitag als Alternative zur Auswahl.

Beim Oettingen-Rennen habe ich selbst einmal eine recht unangenehme Erfahrung gemacht. Das Erlebnis liegt zwar schon lange zurück, ich will das hier aber doch mal erzählen, weil es zeigt, was einem als Wetter so alles passieren kann. Es war im August 1974 und ich hatte noch vor den Buchmachern erfahren, dass der vierjährige Hengst Ace of Aces aus Frankreich mit Lester Piggott im Oettingen-Rennen laufen sollte. Da Ace of Aces gerade mit den Sussex Stakes eines der renommiertesten Meilenrennen Englands gewonnen hatte und für mich ein „gutes Ding“ war, besorgte ich mir mit 50:10 einen lukrativen Festkurs und wettete einen mittleren dreistelligen Betrag. Den Wettschein habe ich noch. 

Wettschein aus dem Jahr 1974 
Wettschein aus dem Jahr 1974

Am Renntag stand Ace of Aces 20:10 am Toto und ich kam mir unheimlich schlau vor. Bis eine Stunde vor dem Start bekannt gegeben wurde, dass Ace of Aces nicht 58 Kilo tragen müsse, sondern 61 und deshalb „ohne Wetten“ zu laufen habe – man hatte bei der Berechnung der Gewichte den Gruppe I-Sieg in England vergessen. Da Festwetten immer „mit dem Toto“ gehen, war klar, dass das Geld weg ist. Um wenigstens meinen Einsatz zu retten, warf ich noch Geld auf Star Appeal hinterher, den zweiten Favoriten, was die Sache aber nur noch schlimmer machte, denn der spätere Arc-Sieger wurde nur Achter. Unnötig zu sagen, dass Ace of Aces auch unter den erschwerten Bedingungen gewann. Piggott hatte allerdings einige Mühe, sich Flintham vom Hals zu halten, aber der war auch ein gutes Pferd, das fünf Tage später die Goldene Peitsche gewann. 

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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