Login
Online-Service
Schliessen
Login

Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Mensch gegen Pferd

4. November 2020

Zu den skurrilsten Wettbewerben, die der Mensch sich ausgedacht hat, gehört neben Schachboxen, Frauentragen und Zwergenwerfen auch der „Mensch-gegen-Pferd-Marathon“, der seit 1980 alljährlich in der walisischen Ortschaft Lanwrtyd Wells ausgetragen wird. Die Idee zu diesem Wettkampf entstand im örtlichen Wirtshaus „Neuadd Arms“ bei einem Streit über die Frage, ob ein Mensch über extrem lange Distanzen schneller sein könne als ein Pferd. Der praktische Beweis dieser inzwischen auch von der Wissenschaft anerkannten Tatsache ließ allerdings bis 2004 auf sich warten, bis der 27-jährige Londoner Huw Lobb nach der 35 Kilometer langen Strecke mit 2 Minuten und 37 Sekunden schneller war als alle Reiter. Neben der Prämie von 25.000 Pfund gewann er auch noch einiges an Wetten, denn auf den Sieg eines Menschen hatten die Buchmacher einen Kurs von 16:1 geboten. Zwei Jahre später konnte auch Dr. Florian Holzinger aus Ansbach alle Pferde schlagen.

Whole Earth Man vs. Horse - 2016

Über die 3200 Meter des Comer Group International Oleander-Rennens am Sonntag in Hoppegarten hätte der Mensch allerdings noch keine Chance, hier ist das Pferd noch mehr als doppelt so schnell unterwegs. Für Rennpferde sind zwei Meilen aber schon eine Extremdistanz und eine Sache für Spezialisten, was sich manchmal darin äußert, dass lange Zeit ganz unauffällige Pferde plötzlich aufwachen und Spitzenleistungen vollbringen, läßt man sie nur erst auf langen Distanzen laufen. Das war, um nur ein Beispiel aus jüngerer Zeit zu nennen, bei Le Miracle der Fall, der noch als Vierjähriger erfolglos in Sieglosenrennen über 1600 Meter geschickt wurde, bis er nach einem Trainerwechsel die Fachwelt verblüffte, als er über 3000 Meter in Chantilly mit sechs Längen Vorsprung siegte und seine Handicapmarke auf einen Schlag von 64 auf 78 Kilo steigerte. Das war bekanntlich nur der Anfang, denn Le Miracle stieg danach mit seinem Erfolg über die 4000 Meter des Prix du Cadran zum Gruppe-I-Sieger auf. Eine ähnliche Entwicklung war bei Altano zu beobachten, dem anderen deutschen Sieger im Prix du Cadran, und – noch extremer – bei Princess Zoe, der diesjährigen Siegerin des großen französischen Steherexamens, die sich im Vorjahr noch vergeblich bemüht hatte, in Dresden, Hoppegarten und München ein mittleres Handicap zu gewinnen, bis sie nach ihrem Export nach Irland auf Distanzen jenseits der 3000 Meter zur Gruppe-I-Siegerin aufstieg und dabei ihr Rating von 68,5 kg auf 94,5 kg verbesserte.
Eingedenk derartiger Entwicklungen darf man gespannt sein, wohin der Weg bei Quian noch führen mag. Seit der vom Gestüt Fährhof gezogene Vierjährige (der als Zweijähriger schon Laccario schlagen konnte) am 26. Juni in Dortmund in einem harmlosen E-Rennen erstmals Bekanntschaft mit einer Extremdistanz machte, hat er bis auf einen Ausrutscher im G2-Prix Gladiateur bei allen sechs Starts auf langen Strecken gewonnen, zuletzt im G3-Deutschen St. Leger und nun auch im G2-Oleander-Rennen, dem größten deutschen Steherrennen. Sein Rating ging von 78 kg bis auf 93 kg nach oben, eine Marke, die er bereits im St. Leger erreicht hatte und die er in Hoppegarten nur noch wiederholen musste, um gegen Rip van Lips und den irischen Wallach Aircraft Carrier zu gewinnen. Während sich bei Quian und auch bei dem nur knapp geschlagenen Rip van Lips der Wechsel auf Extremdistanzen also ausgezahlt hat, habe ich diesbezüglich bei Windstoß Zweifel, der in Hoppegarten früh gefordert nur Fünfter werden konnte. Seine Platzierungen Im Frühjahrs-Grand Prix in Baden-Baden (2200m) und im Hansa-Preis (2400m) waren noch 94,5 kg wert, bei seinen vier Starts danach auf Distanzen zwischen 3000 und 4000 Meter kam er nur noch auf Leistungsmarken von 93, 91, 87 und 90 kg.

Quian siegt unter Bauyrzhan Murzabayev im Comer Group International 49. Oleander-Rennen; Copyright: Marc Rühl
Quian siegt unter Bauyrzhan Murzabayev im Comer Group International 49. Oleander-Rennen; Copyright: Marc Rühl

***

Als im Jahre 1985 zum ersten (und bisher einzigen) Male ein Pferd aus Japan in Deutschland startete, da nahm man sogar den dortigen Derbysieger Sirius Symboli nicht so recht ernst. Von den Wettern kaum beachtet (12:1) kam er im Großen Preis von Baden acht Längen hinter dem Sieger Gold and Ivory auf einen vierten Platz. Dass in absehbarer Zeit noch einmal ein japanischer Derbysieger nach Iffezheim kommen wird, ist kaum vorstellbar. Denn inzwischen ist Japan im Galoppsport zu einer Weltmacht aufgestiegen und der Fokus liegt eindeutig auf einen Sieg im Prix de l´Arc de Triomphe, in dem es bisher bestenfalls zweite Plätze gab (El Condor Pasa, Nakayama Festa, zweimal Orfevre). Eine Vorstellung von der Klasse, über die japanische Pferde inzwischen verfügen, gibt die Zahl 44. Soviele japanische Pferde erreichten im Vorjahr ein Rating von 115 (97,5 kg) oder mehr und schafften es damit in die World Rankings, also in die Liste der 400 besten Galopper der Welt. Das bedeutete Rang drei hinter den USA (69) und England (45). Erstaunlich auch die Regelmäßigkeit mit der der japanische Rennsport echte Champions hervorbringt. In diesem Jahr zum Beispiel zwei Triple-Crown-Sieger – Contrail bei den Hengsten und Daring Tact bei den Stuten, beide sind sogar noch ungeschlagen, der eine nach sieben Starts, die andere nach fünf. Darling der Japaner bleibt aber trotzdem die fünfjährige Stute Almond Eye, die am vorigen Sonntag Geschichte schrieb, als sie mit dem Tenno Sho (Herbst) ihr achtes Gruppe-I-Rennen gewann, so viel wie noch kein anderes Pferd aus Japan. Sie überflügelte damit solche Berühmtheiten wie Deep Impact, Gentildonna, Vodka, Kitasan Black, T M Opera O und Symboli Rudolf, die alle in sieben Rennen der höchsten Kategorie erfolgreich waren, so wie in Deutschland Acatenango, Mondrian und Lando. Neben den Siegen in den Rennen der „Triple Tiara“ (dreifache Krone der Stuten) hat sie noch G1-Siege in Japan Cup, Dubai Turf, Victoria Mile und zweimal Tenno Sho (Autumn) auf ihrem Konto stehen. Ihr aktuelles Rating beträgt 124 (102 kg), damit steht sie in der Weltrangliste an sechster Stelle.
Es ist eigentlich schade, dass die nur von Königstuhl gewonnene Dreifache Krone (Mehl-Mülhens-Rennen, Derby und St. Leger) bei uns überhaupt keine Rolle mehr spielt, ebenso wie das Äquivalent für die Stuten, das einmal Siege in 1000 Guineas, Preis der Diana und Deutscher Stutenpreis umfasste. Tatsächlich haben fünf Stuten diese drei Rennen auch gewinnen können, zuletzt Oraza im Jahre 1973, davor Thila, Liebeslied, Dornrose und Tulipan. Als Ersatz für den nicht mehr existierenden Deutschen Stutenpreis käme heute der Zastrow-Preis in Baden-Baden oder das Ende Oktober gelaufene Stutenrennen in Hannover in Frage.

***

Aus dem Haras d´Annebault in der Normandie kommt die betrübliche Nachricht, dass Guignol nach einem Koppelunfall eingeschläfert werden musste. Nur für zwei Saisons hatte er dort für Nachwuchs sorgen dürfen, in diesem Jahr deckte er 50 Stuten. Der Knoten beim Rennpferd Guignol ging erst spät auf. Er war fast fünf Jahre alt und bis dahin mit einem GAG von 94 kg ein eher unauffälligfes Mitglied der Grand-Prix-Klasse, als er am 1. November 2016 im Großen Preis von Bayern als 335:10-Außenseiter von seinem Reiter im Schlussbogen auf 10 Längen vor das Feld geschickt wurde und von diesem Vorsprung bis ins Ziel leben konnte. Ein Schock-Ergebnis – die Godolphin-Pferde Racing History und Hawkbill und auch Iquitos mussten sich geschlagen geben. Ich hatte damals den Verdacht, dass Michael Cadeddu mit seiner Taktik des resoluten Gehens ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert haben könnte. Aber das folgende Jahr brachte nicht nur eine Bestätigung dieser Form, sondern sogar eine Steigerung. Guignol siegte im Großen Preis der Badischen Wirtschaft, im Großen Preis von Baden und im Großen Preis von Bayern, jedes Mal mit Filip Minarik im Sattel und jedes Mal gegen einen gewissen Iquitos. In München ließ er dazu noch Dschingis Secret und den späteren Arc-Sieger Waldgeist hinter sich. Große Feste des Turfs waren das, die hoffentlich bald wiederkehren werden.
Guignol war dunkelbraun, fast schwarz, ein imposanter Typ, dazu als Sohn von Cape Cross aus der Oaks d´Italia-Siegerin und Diana-Dritten Guadalupe groß gezogen. Dass es mir nicht gelungen ist, meine Kollegen auf der internationalen Konferenz in Hongkong davon zu überzeugen, dass Guignol ein 100-Kilo-Pferd ist, bedaure ich noch heute. Aber auch mit 99,5 kg (Rating 119) gehört er zu den Top Ten aus dem letzten Jahrzehnt – neben Danedream (104 kg), Novellist (104), Sea The Moon (102,5) Pastorius (100,5), Protectionist, Ivanhowe, Dschingis Secret, Scalo (alle 100) und Ito (99,5).

Pastorius - Grosser Preis von Bayern 2017

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

Imagefilm

Deutscher Galopp Imagefilm