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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Kölsche Fantasie

14. Oktober 2020

Eines muss man den Kölnern ja lassen: das war schon eine geniale Idee, ihren „Oktober-Preis der Zweijährigen“ nach nur einem Jahr einen neuen Namen zu geben und das Rennen fortan „Preis des Winterfavoriten“ zu nennen. 1899 war das, im zweiten Jahr des Bestehens der Kölner Rennbahn. Winterfavorit – das hatte doch gleich einen ganz anderen Klang und setzte Fantasie frei, wie bei dem Kolumnisten der „Rheinischen Post“, der 1949 seine neue Bekanntschaft mit auf die Rennbahn nahm, nicht zuletzt weil dort auch die damals so beliebte Pelzmodenschau stattfand. Später rechnete er zusammen: „Drei Pelzmäntel 3500 Mark, Kaffee mit Kuchen im Teehaus 12,50 DM, Sektabendessen im Atelier 52 DM, Mittwoch treffen wir uns wieder 75 DM, Karneval hat sie rasend gern 860 DM, Ski ist ihre Leidenschaft 570 DM, Venedig ihr Traum 1300 DM, macht zusammen 6369,50 DM. Das wäre dann so für mich der Preis der Winterfavoritin.“
Wenn heute vom „Preis“ des Winterfavoriten die Rede ist, dann geht es allenfalls um die Summe, die einem Kaufinteressenten genannt wird. Und die wird nicht zu knapp bemessen sein, denn nachdem der erste „Winterfavorit“ Hagen im Jahr darauf auch gleich das Deutsche Derby gewinnen konnte, war das Rennen etabliert als wichtigstes, in die Zukunft weisendes Rennen für die Zweijährigen in Deutschland. Die „Winterfavoriten“ waren dann auch später überwiegend gute oder sehr gute Pferde, siegten dreijährig in insgesamt 41 klassischen Rennen und waren manchmal sogar die Besten ihres Jahrgangs, so wie das zumindest bei Fels, Dolomit, Graf Ferry, Liebeslied, Baalim, Dschingis Khan, Lombard, Lando, Lavirco und Manduro der Fall war. Dass von den bisher 115 Winterfavoriten nur neun auch das Derby gewinnen konnten, lag in vielen Fällen ja nicht an mangelndem Können, sondern war schon frühzeitig in den Genen angelegt, deren Aufbau einen Einsatz über die langen 2400 Meter in Hamburg wenig erfolgversprechend erscheinen ließ. Zuletzt war das bekanntlich bei Rubaiyat der Fall. Bezeichnend für die Entwicklung in Zucht und Rennsport ist auch, dass in den letzten 30 Jahren nur sechs „Winterfavoriten“ überhaupt im Derby an den Start gekommen sind – drei davon haben gewonnen (Lando, Lavirco, Isfahan), die anderen landeten auf den Plätzen fünf (Sumitas), sechs (Aspectus) und neun (Silvaner).
Und Best of Lips, der jüngste Sieger im G3-Preis des Winterfavoriten vom vorigen Sonntag in Köln?

Best of Lips siegt unter Francis Norton im Preis des Winterfavoriten; Copyright: Marc Rühl
Best of Lips siegt unter Francis Norton im Preis des Winterfavoriten; Copyright: Marc Rühl

Die erste Voraussetzung für einen künftigen Derbysieg, nämlich eine Nennung für das Rennen, ist schon mal erfüllt, so wie auch für die hinter ihm Platzierten Sea of Sands und Mythico. Da die Klasse von Best of Lips nach dem Stil des Erfolges erst einmal nicht in Frage gestellt werden kann, schauen wir mal auf das Pedigree, was sich da an Verwandschaft finden lässt. Über die Vererberqualitäten von The Gurkha, dem Vater des neuen Winterfavoriten, lässt sich noch wenig sagen, seine ältesten Nachkommen sind jetzt zwei Jahre alt und Best of Lips ist sein bisher größter Erfolg. Als Rennpferd hat The Gurkha zwei Gruppe I-Rennen auf der Meile gewonnen, war aber auch Zweiter in den Eclipse Stakes über 2011 Meter, was ihm ein Rating von 122 (101 kg) einbrachte. Ich erinnere mich auch daran, dass Trainer Aidan O'Brien nach dem 5-Längen-Sieg in den französischen 2000 Guineas überlegt hat, den Galileo-Sohn im Epsom Derby zu starten, aber wieder davon abgekommen ist. Etwas Stehvermögen und die Anlage, das auch zu vererben, ist beim Vater von Best of Lips also vorhanden. Bei der Mutter ohnehin, die zweimal über 2200 Meter gewonnen hat und aus einer bewährten Steherfamilie stammt, mit großen Erfolgen vor allem in den Wildenstein-Farben. Auch der eigene Stall sendet bezüglich Stehvermögen positive Signale aus.

Für den Handicapper ist der Preis des Winterfavoriten im Laufe der Zeit immer schwieriger zu berechnen gewesen, da die dort startenden Pferde häufig gerade erst der Sieglosenklasse entwachsen waren, manchmal noch nicht einmal das. Diesmal war mit Juanito immerhin der Zweite des Zukunfts-Rennens dabei (GAG 91 kg), der als Basis für eine Rechnung aber nicht recht zu gebrauchen ist, da er dafür zu weit geschlagen war und man überdies den Eindruck hatte, als sei ihm der Weg zu weit geworden. Aber schon im Führring, bei der Musterung der Pferde, war der vorherrschende Eindruck der eines über dem Durchschnitt stehenden Teilnehmerfeldes. Dieser Eindruck bestätigte sich dann während des Rennens, das durch das flotte Tempo zu einer echten Prüfung wurde und am Ende die gemeinten Pferde vorne sah. Das gibt ein gutes Gefühl, was auch in der neuen Marke von 95,5 kg (Rating 111) für den Sieger seinen Ausdruck findet. Das ist zwar ein Pfund weniger, als Rubaiyat im Vorjahr bekommen hat, 95,5 Kilo für einen Winterfavoriten sind in den letzten 20 Jahren aber neben dem vorjährigen „Galopper des Jahres“ nur von Erasmus, Tai Chi, Aspectus, Manduro und Globus erreicht oder leicht übertroffen worden. (Globus, der 10-Längen-Sieger, der später nicht das gehalten hat, was er versprach.)
Best of Lips hat u.a. noch eine Nennung für das über 2000 Meter führende G1-Criterium de Saint-Cloud am 24. Oktober, ein Start dort ist – wie Trainer Andreas Suborics wissen ließ – Gegenstand von Überlegungen. Suborics hat dieses Rennen schon ein mal gewonnen, 2001 im Sattel von Paita. Mit Tai Chi und Isfahan sind dort auch schon einmal zwei „Winterfavoriten“ an den Start gegangen. Tai Chi wurde Dritter und Isfahan, der spätere Derbysieger, Sechster.

***

Nach dem zweiten Platz von In Swoop im Prix de l'Arc de Triomphe ist ziemlich schnell die These aufgetaucht, der Schlenderhaner sei nun „der beste dreijährige Steher der Welt“. Es liegt mir fern, dem zu widersprechen. Erstens, weil das Pferd mir sympathisch ist und zweitens, weil ja nicht gesagt wird, worauf sich diese Einschätzung gründet. Üblicherweise wird bei so etwas das Handicap-Rating zu Rate gezogen, eine Methode, die zwar angreifbar sein mag, aber alles in allem wohl immer noch am besten geeignet ist für derartige Aussagen. Nun gibt es ja neben den offiziellen Ratings, also den Zahlen, die von den Chef-Handicappern aus 19 Ländern dieser Welt veröffentlicht werden (Official Ratings), auch noch zwei andere Institutionen, die Ratings produzieren, nämlich die „Racing Post“ und die „Timeform“-Organisation. Deren Rechen-Methoden unterscheiden sich geringfügig, doch häufig kommt man zu ähnlichen Ergebnissen. Grob kann gesagt werden, dass die Racing Post sich im Allgemeinen auf der Höhe der offiziellen Zahlen bewegt und Timeform ca. vier Pfund darüber liegt.
Hier nun die aktuell sechs am höchsten bewerteten dreijährigen Steher weltweit, wobei wir unter Stehern Pferde verstehen, die auf Strecken von mehr als 2100 Metern gelaufen sind.

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Official Rating Racing Post Racing Post Timeform
1 123 Love (IRE) 124 Love (IRE) 126 In Swoop (FR)
2 122 In Swoop (FR) 122 In Swoop (FR) 126 Love (IRE)
2/3 122 Contrail (JPN) 122 Mogul (IRE) 124 Serpentine (IRE)
4 121 Mogul (IRE) 121 Serpentine (IRE) 123 Mogul (IRE)
5 120 Serpentine (IRE) 119 Contrail (JPN) 123 Pyledriber (GB)
6 119 Pyledriver (GB) 119 Pyledriver (GB) 122 Contrail (JPN)
6 119 Salios (JPN) - -

Bei Timeform steht In Swoop also tatsächlich an der Spitze, gemeinsam mit Love. Bemerkenswert, dass man sich über die sechs besten Pferde einig ist, nur nicht immer bei der Reihenfolge. Nur bei den offiziellen Handicappern taucht dagegen mit Salios der Sohn der Diana-Siegerin Salomina auf, der Zweite zu Contrail im Japanischen Derby und am vorigen Sonntag 3-Längen-Sieger im G2-Mainichi Okan in Tokio.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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