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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Heidis Welt

21. Oktober 2020

Nimmt man den Renntitel „Preis der Winterkönigin“ einmal wörtlich, dann kann man daraus folgern, dass die Regentschaft für die Siegerin nicht länger als einen Winter andauern wird. So wie es in der Geschichte tatsächlich einmal eine „Winterkönigin“ gegeben hat, der genau das passiert ist: Elisabeth Stuart, Enkelin der schottischen Königin Maria Stuart und Urahnin sämtlicher Monarchen Großbritanniens, trug diesen spöttisch gemeinten Titel als Gattin des „Winterkönigs“ Friedrich V. der Pfalz, der kurz vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges für nur einen Winter lang König von Böhmen war. Auch bei den Winterfavoritinnen des Galoppsports war seit längerem zu beobachten, dass sie ihre Krone nach nur einem Winter wieder haben abgeben müssen, weil Andere besser geworden sind. Blickt man auf die Siegerliste dieser wichtigsten Prüfung für zweijährige Stuten, dann war Quebrada im Jahre 1992 die Letzte, die danach ein klassisches Rennen gewinnen konnte, also die 1000 Guineas oder den Preis der Diana. Für die neue Winterkönigin Noble Heidi sind das in Hinblick auf klassische Ehren keine guten Aussichten, aber es gibt ja noch viele andere gute Rennen.
Der Weg von Noble Heidi zur Winterkönigin war durchaus ungewöhnlich, denn er erfolgte über drei Rennen in Frankreich. Ein Grund hierfür ist das Kürzel „FR“ hinter ihrem Namen, das besagt, dass sie in Frankreich gezogen wurde und ihr Besitzer somit bezugsberechtigt ist für die üppigen Besitzerprämien, die für diese Pferde in Frankreich gezahlt werden und die vor einer Woche noch einmal von 60 auf 70 Prozent des Rennpreises erhöht wurden – für die Zweijährigen schon für die kommende Saison, für die Dreijährigen ab 2022. Es ist also damit zu rechnen, dass der weitere Weg von Noble Heidi bis zu einem möglichen Start im Henkel-Preis der Diana über Rennen in Frankreich führen wird. Dort hat sie bisher zweimal gewonnen und war einmal Dritte, wobei besonders ihr 5-Längen-Sieg am 13. September in einem Classe-2-Rennen in Chantilly Eindruck hinterließ. Der von ihr geschlagene Homeryan wertete diese Form noch deutlich auf, indem er anschließend als Zweiter im G3-Prix Thomas Bryon auf ein Rating von 107 (93,5 kg) lief. Ein solches Rating haben wir nun auch Noble Heidi gegeben. Damit liegt sie über den Marken, die es zuletzt für die Winterfavoritinnen Ocean Fantasy (92,5), Whispering Angel (93) und Rock my Love (92,5) gegeben hat.
Obwohl in Frankreich gezogen, hat Noble Heidi ihre Wurzeln doch im deutschen Gestütbuch, denn sie hat mit Tamacana dieselbe Urgroßmutter wie Thorin. Aus Anlass von dessen Sieg im Prix Daphnis hatte ich über diese Familie, die auf die 1928 im Gestüt Altefeld gezogene Herold-Tochter Treuschin zurückgeht, bereits im August einige Anmerkungen gemacht. Sie ist derzeit in vielen deutschen Gestüten vertreten, zur Verwandschaft gehören Tai Chi, Turfkönig, der Derbysieger Temporal und die Diana-Siegerinnen Trient und Turfdonna.

Baden-Baden - 18. Oktober 2020: Preis der Winterkönigin (Gr. III) - Siegerin: Noble Heidi

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Zu den populärsten Rennen in Deutschland gehörte lange Zeit das Silberne Band der Ruhr in Mülheim. Es faszinierte vor allem wegen seiner langen Distanz von 4000 Metern, denn die Pferde kommen dreimal am Ziel vorbei. Ich kann mich erinnern, dass unter den Presseleuten gewettet wurde, wer beim ersten, beim zweiten und schließlich beim dritten Mal als Erster durchs Ziel ging, keine leichte Aufgabe. 

Man weiß nicht genau wie und warum, aber irgendwann erlahmte das Interesse an diesem Rennen, vielleicht auch, weil die Qualität der Teilnehmer nachgelassen hatte. Der Rennpreis wurde gekürzt, auch die Distanz, bis schließlich der alte Mülheimer Rennverein keine Lust mehr hatte und das Rennen nach Köln abgab, wo es sich aber nie richtig etablieren konnte. Im vorigen Jahr holte der neue Mülheimer Renn-Club das Rennen wieder zurück, gab ihm seinen alten Charakter als 4000-Meter-Ausnahmeprüfung wieder und schon die erste Neuauflage mit dem Sieg des Halbblüters The Tiger gegen den Gruppe-I-Sieger Khan war im vorigen Jahr ein voller Erfolg. Der wurde noch übertroffen durch die zweite Auflage vor einer Woche. 14 Starter hatte es schon seit 40 Jahren nicht mehr gegeben, aber vor allem der spannende Rennverlauf mit einem Fotofinish zwischen drei Pferden machte dieses Rennen zu einem Ereignis, an das man noch lange denken wird. Allein wegen des Rittes von Sibylle Vogt auf der Siegerin New Harzburg habe ich mir die Schlussphase des Rennens bisher mindestens fünf Mal angesehen.
Für die Handicapper werden solche aus dem Rahmen fallende Rennen wie das Silberne Band mit einem besonderem Maßstab gemessen. Extremdistanzen bringen bei Rennpferden immer wieder Talente zum Vorschein, die ansonsten verborgen geblieben wären. Diesmal war das besonders bei der Zweiten Kaiserperle (GAG 74,5) und beim Viertplatzierten Kenny (GAG 64 kg) der Fall, aber auch ein Anton von Marlow war als Siebter nicht weit geschlagen und bewegte sich mit einem aktuellen GAG von 59,5 kg in der Gesellschaft von 80-Kilo-Pferden. Man wird sich in solchen Fällen genau überlegen ob und wieviel Aufgewicht man diesen Pferden im Einzelnen mit auf den Weg geben wird, denn Einige wollen danach wieder mit einer fairen Marke ins Handicap zurück. Für die Siegerin New Harzburg spielen solche Überlegungen keine Rolle, sie brauchte für den Sieg nur ihre vorherigen Leistungen von 86 kg zu wiederholen.

New Harzburg mit Sibylle Vogt (vorne); Copyright: Marc Rühl
New Harzburg mit Sibylle Vogt (vorne); Copyright: Marc Rühl

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Das erste Silberne Band wurde bekanntlich 1930 gelaufen, also zu einer Zeit, in dem der Galoppsport in Deutschland in große Not geriet. Bis Ende des Krieges mussten die Pferde „nur“ 3300 Meter zurücklegen, auch war das Rennen anfangs als Handicap ausgeschrieben. Der erste Sieger war der dreijährige Curator, der auch gleich der erfolgreichste und populärste Teilnehmer in der 90-jährigen Geschichte dieses Rennens werden sollte. Insgesamt sieben Mal ging der von Ernst Bischoff im Gestüt Mydlinghoven gezogene Wallach zwischen 1930 und 1936 im Silbernen Band an den Ablauf, vier Mal konnte er gewinnen – im Alter von drei, vier und fünf Jahren und dann noch einmal als Achtjähriger. In den dazwischen liegenden Jahren wurde er Zweiter und Vierter. Leider zog sich der treue Wallach beim Versuch, das Rennen neunjährig ein fünftes Mal zu gewinnen, eine schwere Sehnenverletzung zu und war nicht mehr zu retten. Er bestritt insgesamt 111 Rennen, von denen er 25 gewann, 33 Mal war er platziert.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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