Login
Online-Service
Schliessen
Login

Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Gen STX17 auf Chromosom 25

10. Juni 2020

W

eiße Pferde üben schon seit mehr als tausend Jahren eine besondere Faszination auf die Menschen aller Kulturkreise aus. Das liegt vermutlich auch an dem seltsamen Wandel, den sie durchmachen, denn alle Schimmel kommen farbig zur Welt und werden erst später weiß. Lange Zeit gab es keine wissenschaftliche Erklärung für dieses Phänomen, bis im Jahre 2008 eine Forschergruppe der Universität Uppsala um Professor Leif Andersson im Wissenschaftsjournal „Nature Genetics“ das Geheimnis lüftete: Das Weißwerden der Pferde ist nicht etwa, wie bis dahin vielfach angenommen, auf eine krankhafte Pigmentstörung zurückzuführen, sondern auf eine Mutation – die Verdoppelung des STX17-Gens auf Chromosom 25, dem sogenannten „Grey-Gen“.
Auf der Rennbahn kommt der Schimmel gegenüber den Braunen und Füchsen ja eher selten vor. In einigen Ländern mehr, in anderen weniger. Das liegt daran, dass, um Schimmel zu werden, immer mindestens ein Elternteil Schimmel sein muss. So findet man immer dort besonders viele Schimmel, wo weiße Deckhengste erfolgreich tätig sind. In Europa war und ist das Frankreich. Kein Wunder, denn alle heute noch lebenden Vollblut-Schimmel lassen sich auf den 1884 geborenen und als Vererber dort überaus erfolgreich gewesenen Le Sancy zurückführen, der eine Renaissance der Schimmelfarbe auf der Welt einleitete. In Deutschland allerdings weniger, hier war der Schimmel über lange Zeit in seiner Existenz gefährdet. So wies der Zuchtnachweis 1951 nur noch sechs Schimmel auf. Die „Sport-Welt“ schlug Alarm und verkündete: „Die Schimmel sterben aus!“. Das ist bekanntlich nicht passiert, aber besonders zahl- und erfolgreich sind die Schimmel bei uns auch heute noch nicht. Das zeigt auch ein Vergleich der Schimmel-Siege in den großen Derbys dieser Welt: Frankreich 10, USA 7, Italien 6, England und Irland jeweils 4, Japan 1. Und Deutschland? Null. Es hat also noch kein Schimmel das Deutsche Derby gewinnen können. Allerdings waren sie in den bisherigen 150 Derbys auch stark unterrepräsentiert. Unter den insgesamt 2006 Startern seit 1869 befanden sich nur 36 Schimmel, also weniger als zwei Prozent. Am besten schlugen sich noch Acambaro als Zweiter, Limbo, Sternkönig und Near Honor wurden Dritter.
Nun hat am vorigen Wochenende der Schimmel Adrian das RaceBets.de-Derby-Trial in Düsseldorf gewonnen und damit seine Chancen für das Deutsche Derby am 12. Juli gewahrt.
Die Hypothek, die der Hengst durch seine Haarfarbe an den Derbystart tragen muss, ist seinem Besitzer Peter Endres vom Gestüt Auenquelle bekannt, er brachte das Thema beim Gespräch im Rennbahn-TV am Samstag selbst zur Sprache. Man kann die Sache aber auch mit Optimusmus betrachten und darauf vertrauen, dass es nach so vielen Fehlversuchen allmählich Zeit wird, dass einmal eine andere Farbe als braun, rot oder schwarz zum Zuge kommt. Es ist allerdings nicht so, als hätte Adrian am Samstag sämtliche auf der Grafenberger Kastanienallee stehenden Bäume ausgerissen; sein Sieg verdient eher das Prädikat solide. Funken, wie vor Jahresfrist bei Laccarios Sieg in diesem Rennen, hat man diesmal nicht fliegen sehen. Laccario hatte damals mit 2:13,62 Minuten für die 2200 Meter eine glänzende Zeit hingelegt. Adrian brauchte – bei etwas langsamerer Bahn – 5 ½ Sekunden mehr, das sind ungefähr 30 Längen. Mit der möglichen Ausnahme von Deia war vermutlich auch wenig Qualität im Feld, so dass für Adrians Sieg vom Handicapper nicht mehr als 88,5 Kilo verbucht werden können. Er behält aber erst einmal seine 91,5 kg aus dem Derby-Trial in Baden-Baden – sein wahres Leistungsvermögen wird aber wohl bis zum Derby im Dunkeln bleiben.

Adrian siegt unter Andrasch Starke im RaceBets.de - Derby-Trial; Copyright: Marc Rühl
Adrian siegt unter Andrasch Starke im RaceBets.de - Derby-Trial; Copyright: Marc Rühl

Die Schimmelfarbe hat Adrian von seinem Vater Reliable Man, dem französischen Derbysieger von 2011. Ich bin mal in den Keller gestiegen und habe den schweren Koffer mit Bobinskis „Family Tables of Racehorses“ nach oben geschleppt, um Adrians Schimmellinie bis zu seinem Ursprung zu verfolgen. Sie geht über 33 Generationen bis zum Ur-Vater aller Schimmel in der Vollblutzucht, den vermutlich in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts aus Konstantinopel nach England eingeführten Alcock's Arabian, dem ersten im „General Stud Book“ eingetragenen Schimmel überhaupt.

Für den Fall, dass Adrian tatsächlich den auf dem Derby lastenden Schimmel-Fluch beseitigen sollte, und die Besitzer dann auch etwas zum Einrahmen haben, aber auch, um mir die Mühe nicht umsonst gemacht zu haben, folgen hier die Namen aller Pferde, die ihre Schimmelfarbe durch die Generationen bis hin zu Adrian getragen haben: Alcock's Arabian (H. ca.1700) - Crab (H. 1722) - Crab Mare (St. 1750) - Regulus Mare (St. ohne Geburtsdatum) - Virago (St. 1764) – Speranza (St. 1778) - Bab (St. 1887) - Sir Peter (H. 1797) - Spinster (St. 1805) – Master Robert (H. 1811 - Drone (H. 1823) - Whim (St. 1832) - Chanticleer (H. 1843) - Souvenir (St. 1856) - Strathconian (H. 1863) - Gem of Gems (St. 1873) - Le Sancy (H. 1884) - Le Samaritain (H. 1895) - Roi Herode (H. 1904) - The Tetrarch (H. 1911) - Queen Herodias (St. 1916) - Princess Herodias (St. 1920) - Baytown (H. 1925 - Kong (St. 1933) Grey Sovereign (H. 1948) - Fortino (H. 1959) - Caro (H. 1967) - Crystal Palace (H. 1974) - Damana (St. 1981) - Daltana (St. 1989) - Dalakhani (H. 2000) - Reliable Man (H. 2008) – Adrian (H. 2017).

* * *

Der Coronation Cup ist ja ein für englische Verhältnisse noch junges Rennen. Erst 1902 wurde es aus Anlass der Krönung von Eduard VII. zum König von Großbritannien und Irland zum ersten Mal gelaufen. Eduard VII., der als Prinz von Wales im Jubiläumsjahr 1883 Gast des Internationalen Clubs bei den Rennen in Iffezheim war und dort, um sich die Langeweile an den Tagen zwischen den Rennen nicht nur mit Taubenschießen zu vertreiben, diverse sportliche Wettbewerbe zwischen Reitern und Trainern erfand. So überwand der Sieger im Hochsprung mit Sprungbrett die Höhe von 1,46 Meter, im Weitsprung ohne Brett über die Schnur sind 4,40 Meter als Siegesweite dokumentiert. Der Coronation Cup hat im Laufe der Jahre einige herausragende Sieger wie in neuerer Zeit Park Top, Mill Reef, Rainbow Quest, Triptych, Daylami oder Cracksman hervorgebracht, auch zwei deutsche Derbysieger sind in der Siegerliste zu finden. 2002 hat Boreal gewonnen, an jenem denkwürdigen Nachmittag in Epsom, als 35 Minuten später die von Roswitha Grünewald gezogene Kazzia auch noch die Oaks gewann. Vier Jahre danach siegte Shirocco, der allerdings bei André Fabre in Training war.
Nun hat am Samstag Ghaiyyath gewonnen, ein Pferd, das von hier aus seit seinem denkwürdigen 14-Längen-Sieg im Großen Preis von Baden mit sehr viel Sympathie verfolgt wird. Bereits im Februar hatte er in Dubai bei einem 8 ½-Längen-Sieg über 2000 Meter einen neuen Bahnrekord aufgestellt. Ähnliches gelang ihm jetzt in Newmarket, wo der Coronation Cup diesmal ersatzweise ausgetragen wurde. Nach 2:25,89 Minuten hatte er die 2414-Meter-Strecke bewältigt und damit die alte Bestmarke um 0,18 Sekunden verbessert. Die englische Presse sprach danach von einer „tour de force“, eine Redewendung, die mit „Kraftakt“ nur unzureichend ins Deutsche übersetzt werden kann, weil dabei eine gewisse Genialität in der Ausführung nicht zum Ausdruck kommt. Dafür hat der Reiter gesorgt, der wie in Iffezheim William Buick war.

Ghaiyyath gewinnt den Hurworth Bloodstock Coronation Cup 2020 in Newmarket.

Das taxieren des richtigen Tempos auf so kraftvollen Frontrennern wie Ghaiyyath gehört zu den schwierigsten Aufgaben, die einem Rennreiter gestellt werden können. Federico Tesio, um wieder einmal den „Hexer von Dormello“ zu zitieren, hat einmal die Binsenwahrheit ausgesprochen, dass Sieger eines Rennens dasjenige Pferd ist, das die Distanz in der kürzesten Zeit zurücklegt. Er hat aus dieser einfachen Erkenntnis aber häufiger als andere die richtigen Folgen gezogen. Wenn man, so Tesio, das mutmaßlich beste Pferd im Rennen hat und kein Pacemaker zur Verfügung steht, muss man selbst das Rennen machen und vorne gehen – vorausgesetzt, das Pferd kann die Distanz bestens stehen. Buick schwärmte nach dem Rennen dann auch über die enorme Grundschnelligkeit seines Pferdes. Es könne zu Hause mit den besten Sprintern mitgehen, aber im Gegensatz zu diesen das Tempo über jede Distanz durchhalten.
Mit dieser Fähigkeit zermürbte Ghaiyyath auch in Newmarket seine Gegner durch ein Temporennen sondergleichen. Schon weit vor dem Ziel und ohne den Abstand von fünf bis sechs Längen wesentlich verringern zu können, begannen die Reiter auf den Verfolgern Finish zu reiten und zehrten dabei die restlichen Kräfte ihrer Pferde vorzeitig auf. Auch wir Handicapper, die ja aus Erfahrung eher zur Skepsis neigen, waren wieder einmal gebührend beeindruckt von Ghaiyyath. Für mich und für die meisten meiner Kollegen auf der Welt, die sich bisher dazu zu Wort gemeldet haben, steht die Siegform ebenbürtig neben der aus Iffezheim und verdient somit ein Rating von 126 (103 kg). Seine eigene Bestleistung in diesem Jahr aus Dubai (124=102 kg) hat er noch einmal gesteigert und verteidigte damit auch seine augenblicklich führende Stellung in der Weltrangliste vor der japanischen Stute Almond Eye (124).

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

Imagefilm

Deutscher Galopp Imagefilm