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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Einfach der Beste

26. August 2020

Bei Sportveranstaltungen aller Art wird auch heute noch gerne Tina Turners Welterfolg „The Best“ aus dem Jahr 1989 abgespielt. „You are simply the best“ heißt es da im Refrain, „better than all the rest“. Am Mittwoch voriger Woche hallten diese Worte zusammen mit der zündenden Musik über das nahezu menschenleere Rennbahngelände von York, als der fünfjährige Hengst Ghaiyyath nach seinem grandiosen Sieg im G1-Juddmonte International als Sieger zur Waage zurückkehrte. Doch nicht nur dem Pferd, auch William Buick, seinem einstmals in Iffezheim in die Schule gegangenem Reiter, mochte das Lied gelten, der sein – man darf wohl sagen: Lieblingspferd – wieder einmal vom Start bis ins Ziel in Front liegend zu einem Gruppe I-Sieg gesteuert hatte, dem dritten in Folge.
Eigentlich ist es doch die einfachste Sache der Welt: Schnell abspringen, nach vorne gehen und bis ins Ziel dort bleiben. Und doch ist es so schwer. Der geniale Züchter,Trainer und Pferdemann Federico Tesio hat dazu einige grundsätzliche Anmerkungen gemacht. „Ein Jockey kann sein Pferd nicht zwingen, eine gegebene Distanz in kürzerer Zeit zurückzulegen, als es die natürliche Leistungsfähigkeit erlaubt“, heißt es in seinem 1958 erstmals publizierten und seitdem immer wieder und auch auf Deutsch („Rennpferde“) neu aufgelegten Buch „Breeding the Racehorse“, „er kann es jedoch zwingen, langsamer zu laufen.“ Tesio schließt daraus, dass erfolgreich derjenige Jockey sein wird, der am besten die Pace beurteilen kann. Im Fall von Ghaiyyath ist das die schnellste, einem Pferd zumutbare Pace, denn dieses Pferd kann jede Distanz zwischen 2000 und 2400 Meter bestens „stehen“, d.h. in der schnellsten Zeit zurücklegen. Auf diese Weise haben beide, also Ghaiyyath und Buick, in diesem Jahr schon zwei Bahnrekorde aufgestellt, in Meydan (2000 Meter in 2:00,33) und beim Coronation Cup in Newmarket (2:25,89 über 2400 Meter) und darüber hinaus auch die G1-Eclipse Stakes und jetzt die G1-Juddmonte International Stakes in sehr schneller Zeit gewonnen. Unvergesslich auch seine 14-Längen-Gala beim Großen Preis von Baden im Vorjahr. Dass die Sache aber auch schiefgehen kann, hat man beim vorjährigen Prix de l'Arc de Triomphe gesehen, als Buick dem Pferd auf schwerem Boden zu viel zugemutet und damit sozusagen das Uhrwerk überdreht hat.
Auch am vorigen Mittwoch in York nahm Ghaiyyath wieder schnell seine schon gewohnte Reisegeschwindigkeit auf, die kein Pferd, ohne selbst Schaden zu nehmen, mitgehen kann. Die kleine Rose of Kildare machte anfangs einen schüchternen Versuch, gab aber schnell wieder auf. Aber auch Schwergewichte wie Magical, Lord North und Kameko „paddelten hilflos in seinem Fahrwasser“, so stand es jedenfalls tags darauf im „Guardian“. Mit dem Sieg baute Ghaiyyath seine Führung der Weltrangliste weiter aus, denn es sieht danach aus, als sollten sich die internationalen Handicapper auf ein neues Rating von 130 (105 kg) einigen können.

2020 Juddmonte International Stakes (Group 1) - by Racing TV

Damit stieße der Fünfjährige in die kleine Gruppe derjenigen Galopper vor, die ein Rating von 130 oder mehr erreicht haben. Zuletzt hatten das vor zwei Jahren Cracksman und Winx geschafft. Die letzten In Deutschland trainierten Galopper in diesem Eliteklub waren Lomitas (131) und Acatenango (130), Danedream und Novellist kamen immerhin auf 128.

Ghaiyyath's Sieg auf der Titelseite der Racing Post von heute (26.08.2020) finden Sie hier.

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Als der Herzog von Morny dem Bürgermeister des kleinen Bauerndorfs Dosville im Jahre 1859 ein Sumpf- und Dünengelände an der Atlantikküste abkaufte, konnte niemand ahnen, dass hier innerhalb weniger Jahre eines der mondänsten Seebäder Europas entstehen sollte – Deauville. Ein Yachthafen, ein Casino, Luxusvillen und eine 600 Meter lange Promenade sorgen ebenso für einen angenehmen und abwechslungsreichen Aufenthalt wie das Vorhandensein der beiden Rennbahnen La Touques und Clairefontaine. Dabei hat die Stadt noch nicht einmal 4000 Einwohner, während der Saison sind manchmal das zehnfache dieser Zahl an Gästen vor Ort. Jetzt, im August, ist Hochsaison, und das große Sommer-Meeting, das offiziell Barriere Deauville Meeting heißt, befindet sich der Endphase. Für die Franzosen gab es wieder einmal nicht viel zu lachen, sie laufen vor allem den Pferden aus England und Irland immer häufiger hinterher. Von den fünf Gruppe-I-Rennen des Meetings konnten die Franzosen nur den Prix Rothschild mit der von Francis-Henri Graffard trainierten Watch Me im Lande halten. Die übrigen Top-Rennen gingen durch Campanelle (Prix Morny) nach Amerika und durch Space Blues (Prix Maurice de Gheest), Palace Pier (Prix Jacques le Marois) und Audarya (Prix Jean Romanet) nach England, und auch im hochdotierten G2-Guillaume d'Ornano war mit Mishriff ein englisches Pferd vorne.  Die beste Leistung des Meetings zeigte dabei der dreijährige, von John Gosden trainierte Palace Pier am 16. August im Prix Jacques le Marois, eine Prüfung, die zusammen mit den Sussex Stakes und Queen Elizabeth II. Stakes regelmäßig zu den am stärksten besetzten Meilenrennen in Europa zählt.

In der Siegerliste findet man Berühmtheiten wie Miesque, Six Perfections, Dubawi, Manduro, Goldikova oder Kingman, aber auch zwei deutsche Pferde haben dieses Meilenchampionat gewinnen können: 1970 der Schlenderhaner Priamos (mit Alfred Gibert) und 1986 Lirung (mit Steve Cauthen) aus dem Gestüt Fährhof. 2001 ging auch die von Ralf Suerland trainierte Proudwings als Erste durchs Ziel, wurde aber wegen Behinderung mehrerer Konkurrenten auf den letzten Platz gesetzt. Auch diesmal war ein Elitefeld am Ablauf. Umso beeindruckender die Tatsache, dass sich der noch ungeschlagene Palace Pier und die Sea The Moon-Tochter Alpine Star fünf Längen und mehr von Gruppe I-Pferden wie Circus Maximus, Persian King und Romanised absetzen konnten. Palace Pier, der mit einer knappen Länge gewann, wird dafür ein ziemlich gewaltiges Rating bekommen, die Zahlen gehen hinauf bis zu 126 (103 kg) und auch Alpine Star sollte die Marke von 120 geschafft haben.

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Am vorigen Wochenende waren auch mehrere deutsche Pferde in Deauville dabei. Ashrun (94,5 kg) und Windstoß (93 kg) hielten sich im G2-Prix Kergorlay über weite 3000 Meter als Zweite bzw. Dritte sehr ordentlich. Beide wurden aber übertroffen von Thorin, der am Samstag im G3-Prix Daphnis siegte und dabei den Ruf unserer dreijährigen Hengste kräftig aufpolierte.

PRIX DAPHNIS 2020 | Thorin | Deauville | Groupe 3 - Equidia

Schon zuletzt in Düsseldorf hatte er mit einem dritten Platz in der G3-Henkel-Trophy eine starke Vorstellung gezeigt, die er jetzt noch einmal überbieten konnte. Er steigerte sein Rating von 93 kg auf nunmehr 94,5 kg. Damit steht er jetzt auf einer Stufe mit dem vorjährigen „Galopper des Jahres“ Rubaiyat, beide könnten demnächst im Kronimus Oettingen-Rennen aufeinander treffen.
Thorin ist als Soldier Hollow-Sohn und Halbbruder des Winterfavoriten Tai Chi ja exzellent gezogen und ein weiterer Beweis für die Vererbungskraft, die nicht nur in Soldier Hollow sondern auch in so vielen alten deutschen Stutenlinien steckt. Denn die deutsche Stammmutter von Thorin ist die 1928 im Gestüt Altefeld vom Derbysieger Herold aus einer Rabelais-Stute gezogene Treuschin. Zu Rabelais fällt mir eine Geschichte ein, die ich im Jahrgang 1929 der „Rundschau für Vollblutzüchter“ gefunden habe und die so unglaublich klingt, dass ich sie hier kurz erzählen muss. Der im Jahr 1900 geborene St. Simon-Sohn Rabelais war ein ausgezeichnetes Rennpferd und ein ebensolcher Vererber. Als er 29 Jahre alt war, ließ sein körperlicher Zustand so sehr zu wünschen übrig, dass man sich entschloss, bei dem in Frankreich stehenden Hengst eine sogenannte „Greisenverjüngung“ vorzunehmen. So etwas war damals der letzte Schrei und soll angeblich – und zwar auch bei Menschen – mehrfach erfolgreich durchgeführt worden sein. Die Methode des späterhin als Scharlatan enttarnten Professors Sergei Woronow bestand darin, dass dem guten alten Rabelais in dünne Scheiben geschnittene Hoden eines jungen Vollbluthengstes lagenweise in seine eigenen Hoden eingefügt wurden. Die Operation verlief angeblich glänzend und man prophezeite, dass Rabelais, dessen Backenzähne altersbedingt schon so abgenutzt waren, dass ihm das Haferkauen Beschwerden machte, im nächsten Frühjahr wieder Decktätigkeiten werde nachgehen können wie in seiner Jugendzeit. Stattdessen aber ging der Hengst an dieser „Verjüngungsoperation“ ein. Dasselbe Schicksal hatte einige Jahre zuvor auch Ard Patrick ereilt, den englischen Triple-Crown-Sieger und dreifachen deutschen Championdeckhengst des Gestüts Graditz. Auch er verstarb nach einer ähnlichen Operation („Verjüngung nach Steinach“) im Alter von 24 Jahren.
Doch zurück zu Treuschin, der deutschen Stammmutter von Thorin. Man kann nicht sagen, dass sie Großtaten vollbracht hat, denn sie lief insgesamt 48 Mal und gewann dabei vier kleine Rennen. Im Gestüt Isarland brachte sie die Stute Treue, die das Erbe durch ihr einziges Fohlen Traube weitertrug. Diese Traube sorgte dann über ihre Töchter Traute und Tannhalde zunächst in der Zucht des Fürsten Oettingen-Wallerstein, später dann auch in den Gestüten Waldfried, Etzean, Burg Eberstein, Auenquelle und Hachtsee für ein großes Aufblühen dieser Linie, der Pferde wie die Diana-Siegerinnen Trient und Turfdonna, der Derbysieger Temporal sowie die klassischen Sieger Tryphosa und Turfkönig angehören. Von Thorin kann also noch etwas erwartet werden.

Der Handicapper Blog macht eine kurze Pause und erscheint wieder am Mittwoch, den 9. September.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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