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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

„Ein Pferd galoppiert mit seiner Lunge, hält durch mit seinem Herzen und gewinnt mit seinem Charakter“

3. Juni 2020

Pfingsten ist ein unterschätztes Fest. Das schrieb Heribert Prantl am Wochenende in der „Süddeutschen Zeitung“ und schob die mangelhafte Popularität des Festes auf die Tatsache, dass man zu Pfingsten, außer vielleicht einem Strauß Pfingstrosen, keine Geschenke zu erwarten hat. Das hat auch schon Bertolt Brecht bemängelt, als er kalauerte: “Pfingsten sind die Geschenke am geringsten. Während Ostern, Geburtstag und Weihnachten was einbrachten“. Nun ja – der Galoppsportfreund muss Prantl natürlich recht geben, denn während er (also der Galoppsportfreund, nicht Prantl) zu Weihnachten mit Handicap-Sport der Güte Knecht-Ruprecht-Rennen vorlieb nehmen muss und sich an so manchem Osterfest schon bei kaltem Nordostwind in seine Winterjacke gehüllt hat, ist Pfingsten bekanntlich das „liebliche Fest“, zu dem bei meist schönstem Frühlingswetter immer großer Sport geboten wird. So wie diesmal mit dem Diana-Trial am Sonntag und dem Mehl-Mülhens-Rennen am Montag, beides Rennen der Gruppe II.
Im Mehl-Mülhens-Rennen endete vorerst die Siegesserie von Rubaiyat, nach fünf Siegen bezog er seine erste Niederlage. Schon vor dem Rennen verbreiteten die Kommentare zur aktuellen Trainingsform des „Galopper des Jahres“ einen eher gedämpften Optimismus, so dass die Niederlage gar nicht einmal so überraschend kam, wie es seine Stellung am Wettmarkt vermuten lässt. Rubaiyat lief aber trotz der Niederlage kein schlechtes Rennen, er war ja nur denkbar knapp geschlagen – die herausragende Stellung über die meisten seiner Altersgefährten scheint er über Winter aber eingebüßt zu haben. Fearless King hat dieses Mehl-Mülhens-Rennen mit großem Kampfgeist für sich entschieden und dabei ein Rennvermögen gezeigt, das man diesem von der Statur her kleinem Pferd auf den ersten Blick gar nicht zutraut. Aber auch Ribot und Mill Reef waren kleine Pferde und Alpenkönig war noch kleiner, und doch konnten sie alle laufen. Es gilt eben immer noch die alte Weisheit: „Ein Pferd galoppiert mit seiner Lunge, hält durch mit seinem Herzen und gewinnt mit seinem Charakter“.

Fearless King siegt unter Rene Piechulek im 35. Mehl-Mülhens-Rennen - Gr. 2; Copyright: Marc Rühl
Fearless King siegt unter Rene Piechulek im 35. Mehl-Mülhens-Rennen - Gr. 2; Copyright: Marc Rühl

Für den Handicapper war die Aufgabe nach diesem Rennen nicht schwer. Zavaro lief wieder ein ordentliches Rennen und sollte seine Form aus dem Busch-Memorial eingestellt haben. Daraus ergibt sich für Fearless King eine neue Marke von 95 kg (Rating 110). Für einen Mehl-Mülhens-Sieger bewegt sich das am unteren Rand. Seitdem das Rennen 1991 für Pferde aller Länder geöffnet wurde, kamen nur Platini (der als Unbeteiligter nach Protest gewann) und Royal Power mit 94,5 kg sowie im Vorjahr Fox Champion (94 kg) auf noch niedrigere Marken. Excelebration (98,5 kg), Martillo und Karpino (je 98 kg) waren am anderen Ende der Skala die Besten. Natürlich drückte die Abwesenheit ausländischer Gäste auf die Qualität des Rennens, besonders englische Pferde durfte man in diesem Klassiker bisher regelmäßig begrüßen. Sie haben in den letzten 30 Jahren auch elf Mal gewonnen und dabei das Niveau bestimmt, auf dem sich unsere besten Meilenpferde bewegen. Es wird Zeit, dass die Grenzen sich wieder öffnen, denn gerade der Galopprennsport und die Vollblutzucht leben von einem länderübergreifenden Wettbewerb.

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Es heißt ja, das Mehl-Mülhens-Rennen sei als Nachfolger des von 1871 bis 1985 gelaufenen Henckel-Rennens der drittälteste Klassiker in Deutschland, nach dem Preis der Diana und dem Deutschen Derby. Das könnte aber ein Irrtum sein. Denn auch das Henckel-Rennen hatte bereits einen Vorläufer, dessen Geschichte ganz in Vergessenheit geraten ist.

Im Jahre 1839, also zu einer Zeit, als die Beziehungen der russischen Herrscher zu den Adelshäusern des übrigen Europas auch aufgrund verwandtschaftlicher Bindungen noch die allerbesten waren, ließ es sich der russische Thronfolger, der spätere Zar Alexander II., einfallen, den englischen Jockey Club mit einem großzügigen Geldgeschenk zu bedenken. Daraus wurde dann das berühmte und auch heute noch bedeutende Cesarewitch Handicap in Newmarket finanziert. Ein ähnlicher Geldbetrag aus derselben Hand floss auch dem Berliner Rennverein zu, der daraufhin ab dem Jahre 1842 ein neues Rennen auf dem Tempelhofer Feld schuf, eine Rennbahn, die nach Berichten von Zeitzeugen den Gipfelpunkt der Scheußlichkeit darstellte. In einer für damalige Begriffe erstaunlichen Aufwallung von Sprachgefühl wählte man für das Rennen aber nicht den Namen eines Thronerben, also Zarewitsch-Rennen, sondern man übersetzte es einfach ins Deutsche und nannte es „Großfürst Thronfolger-Rennen“. Unter diesem Namen und auf Distanzen zwischen 500 Ruthen (1580m) und einer Viertel deutschen Meile (1975m) wurde es bis 1870 während des Berliner Frühjahrs-Meetings von einer Reihe guter Pferde gewonnen. Auch der erste deutsche Derbysieger Investment gewann dieses Rennen im Jahre 1869, vor seinem Triumph in Hamburg-Horn. Nachdem 1871 das Deutschen Reich gegründet wurde und auch der Geldfluss aus Sankt Petersburg längst aufgehört hatte, wählte man als neuen Namen für das Rennen den des schlesischen Züchters und Besitzers Graf Hugo Henckel von Donnersmarck. Der erste Sieger des Henckel-Rennens, nunmehr auf der neuen Rennbahn von Hoppegarten, war Bauernfänger, der wenige Wochen später auch der dritte deutsche Derbysieger wurde.

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Nach diesem Ausflug in die Urzeit des deutschen Galopps wieder zurück in die Gegenwart. Wir bleiben aber in Hoppegarten und beim Gestüt Röttgen-Diana-Trial, der ersten ernsthaften Prüfung für die dreijährigen Stuten auf dem Weg zum Henkel-Preis der Diana. Man kann nicht sagen, dass das Rennen im Kalender glücklich platziert ist, denn bis zur Diana sind es noch mehr als zwei Monate, eine lange und gerade für die jungen Dreijährigen entscheidende Zeitspanne. Vielleicht aus diesem Grunde hat auch erst eine Gewinnerin des Diana-Trials später die Diana selbst gewinnen können. Das war vor zwei Jahren Well Timed in den Farben des Stalles Ullmann. Das Hoppegartener Diana-Trial ist ja 2009 hervorgegangen aus dem ehemaligen Schwarzgold-Rennen in Köln und dessen Vorläufer, dem Las Vegas-Slenderella-Rennen, eine Vorprüfung für die damals noch im Frühjahr in Mülheim gelaufene Diana. Am Sonntag hat Kalifornia Queen gewonnen. Von ihren elf Vorgängerinnen sind drei später im Preis der Diana nicht an den Start gekommen, Well Timed hat gewonnen, Nightflower wurde Zweite, Longina Dritte und Tusked Wings Vierte. Alle anderen kamen nicht in die Platzierung.
Wie auch immer die Aussichten auf einen Diana-Sieg sein mögen, ihren Gruppe-II-Sieg kann Kalifornia Queen keiner mehr nehmen. In einem schnell gelaufenen Rennen kam sie mit knapp zwei Längen zum Zuge, immer innen an der Hecke galoppierend und damit einige Meter sparend. Das Rennen war ordentlich besetzt, über die nicht weit geschlagene Virginia Girl und auch über die Fünfte Flamingo Girl kommt man auf eine Marke von 92 Kilo für die Siegerin. Das entspricht ziemlich genau dem Durchschnitt aus den letzten 10 Jahren. 

Kalifornia Queen siegt unter Clement Lecoeuvre im Gestuet Roettgen Diana-Trial, Gr.2; Copyright: Marc Rühl
Kalifornia Queen siegt unter Clement Lecoeuvre im Gestuet Roettgen Diana-Trial, Gr.2; Copyright: Marc Rühl
 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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