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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

„Ein Leben ohne Rennsport ist möglich, aber sinnlos“

13. Mai 2020

Das Leben ist kurz, aber die Langeweile verlängert es. Das hat der französische Schriftsteller Jules Renard einmal gesagt, und wenn er recht hat, dann haben viele von uns zuletzt etwas mehr vom Leben gehabt. Auch jetzt ist noch nicht alles wieder im Takt, aber immerhin ist der Rennsport zurück, ohne den – um es mit Loriot zu sagen – ein Leben zwar möglich, aber sinnlos ist. Wer Gelegenheit und Muße hatte, alle 54 Rennen seit der Rückkehr der Galopprennen am vorigen Donnerstag zu verfolgen, der wird dankbar sein – erstens für ein paar Tage Pause bis zur nächsten Rennveranstaltung, und zweitens für die neue Qualität der Übertragungen, die das Zuhause-bleiben-müssen ein wenig leichter gemacht hat.
Den stärksten Eindruck in diesen Tagen hat der Sieg von Wonderful Moon hinterlassen, jedenfalls beim Handicapper. So wie die Katze zunächst mit der Maus spielt, bevor diese doch ihr Schicksal ereilt, so legte sich auch Andrasch Starke mit Wonderful Moon am Freitag beim G3-Cologne Classic in Köln seine überforderten Gegner zunächst zurecht, um sich dann von ihnen zu verabschieden. Hätte sein Reiter ihn nicht auf den letzten hundert Metern verhalten, so wären es für den Derbyfavoriten im Ziel statt der offiziellen eindreiviertel Längen fünf gewesen, wenn nicht mehr.

Wonderful Moon siegt unter Andrasch Starke im Cologne Classic - Copyright: Marc Rühl
Wonderful Moon siegt unter Andrasch Starke im Cologne Classic - Copyright: Marc Rühl

Wir haben daher für den Sieg 4 ½ Kilo gerechnet und kommen damit auf eine gezeigte Leistung von 94 Kilo. Um dorthin zu gelangen, mussten wir die Marken der geschlagenen Pferde zum Teil deutlich anheben, was in Rennen für Dreijährige um diese Jahreszeit aber nichts Ungewöhnliches ist, denn die jungen Pferde verbessern sich gerade jetzt oft sprunghaft. Eine solche Verbesserung war aber auch nötig, denn bei den Zweijährigen des vorigen Jahres gab es die etwas merkwürdige Konstellation, dass nach Rubaiyat, Wonderful Moon und Alson, die alle ein Rating von 96 kg bzw. 95,5 kg erreicht hatten, erst einmal 12 Stuten folgten, bevor bei 85 kg mit Palau der nächste Hengst auftauchte. Dass es dem Derbyjahrgang in der Spitze noch an Breite fehlt, ist auch darin begründet, dass Wonderful Moon und Rubaiyat im Preis des Winterfavoriten und im Ratibor-Rennen jeweils 12 Längen vor den anderen eingekommen sind und auch im Zukunfts-Rennen zwischen Alson und dem nächsten Hengst (Fearless King) mehr als sieben Längen lagen.
Das Bavarian Classic (diesmal Cologne Classic) hat seinen Platz zu Beginn des Monats Mai bekanntlich als Nachfolgerennen für den nach 2015 weggefallenen Frühjahrs-Preis des Bankhauses Metzler in Frankfurt gefunden. Seitdem haben mit Isfahan, Royal Youmzain und Django Freeman ein Derbysieger und zwei Derby-Platzierte gewonnen, nur Warring States tanzte als Derbyletzter aus der Reihe. Auch insoweit sind die Aussichten für Wonderful Moon also weiterhin glänzend, sein GAG von 96 kg bleibt natürlich unverändert.

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Im Dr. Busch-Memorial am Sonntag in Hoppegarten haben einige Teilnehmer schon kräftig daran gearbeitet, die erwähnte Lücke hinter Wonderful Moon und Rubaiyat zu schließen. Hier stoben nicht die Funken wie im Cologne Classic, denn es war eher ein Arbeitssieg für Rubaiyat gegen die hartnäckig angreifenden Zavaro und Fearless King. Eine nicht mehr als solide Leistung, die zwar keine Begeisterung hervorrufen konnte, aber immerhin den fünften Sieg bei ebenso viel Starts sicherte. Und die wirklich großen Aufgaben kommen ja erst noch. Von den 20 Siegern des Busch-Memorials in diesem Jahrhundert sind 13 anschließend auch im Mehl-Mülhens-Rennen gelaufen und nur Karpino, Lucky Lion und Irian konnten dort auch gewinnen.

Das waren, wie man sich erinnern wird, drei ausgesprochen gute Pferde. Auf neue Gegner aus Deutschland wird Rubaiyat im Kölner Klassiker kaum treffen, ein Fragezeichen steht hinter den derzeit noch elf Kandidaten aus England und Frankreich. Das Einreiseverbot für ausländische Pferde gilt derzeit noch bis 31. Mai, das Mehl-Mülhens-Rennen ist für den 1. Juni vorgesehen, könnte also gerade passend kommen.

Rubaiyat, der amtierende Galopper des Jahres, gewinnt das Dr. Busch - Memorial unter Andrasch Starke - Copyright: Marc Rühl
Rubaiyat, der amtierende Galopper des Jahres, gewinnt das Dr. Busch - Memorial unter Andrasch Starke - Copyright: Marc Rühl

Die Leistung von Rubaiyat in Hoppegarten ist nicht leicht mit einer Zahl zu fassen, man bewegt sich – wie schon im Cologne Classic – auf unsicherem Terrain. Auf dem Papier stand er 10 Kilo und mehr über seinen Gegnern, aber ein solches – theoretisches – Leistungsgefälle spiegelt sich nur in den seltensten Fällen auch auf dem Rasen wider. Von seiner besten Form (96 kg) sollte Rubaiyat noch einige Kilos entfernt sein, aber und wenn wir von 93 Kilo ausgehen, dann dürfte das einigermaßen realistisch sein. 93 Kilo sind nicht viel für ein Busch-Memorial, genauer gesagt ist es (zusammen mit Kronprinz) die niedrigste Marke seit den 92,5 kg von Kaldono im Jahre 1999, als das Rennen ebenfalls in Hoppegarten entschieden wurde.

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Das Handicapsystem folgt bekanntlich dem Leistungsprinzip. Handicapmarken richten sich nach den gezeigten Leistungen und nicht etwa nach gewonnenen Geldpreisen. Das ist ein Punkt, den nicht alle im Rennsport gleichermaßen gut verstehen, aber ein Abweichen von diesem Leistungsprinzip würde über kurz oder lang die Stabilität des gesamten Systems in Gefahr bringen. Diese Stabilität beruht vor allem auf Kontinuität, also darauf, dass die Arbeitsweise der Ausgleicher stets denselben Grundsätzen folgt. Das gilt sowohl für die Berechnung von Altersgewichtsrennen als auch für die die Vergabe von Aufgewichten und Nachlässen in den Ausgleichsrennen.
Aufgrund der Einschränkungen als Folge der Corona-Pandemie ist von verschiedener Seite an die Ausgleicher der Wunsch herangetragen worden, analog zu den Rennpreisen auch die Aufgewichte bei Siegen in Handicaprennen zu halbieren. Wir halten ein solches Vorgehen nicht nur aus den oben genannten allgemeinen Erwägungen heraus nicht für sinnvoll. Die Vergabe von Aufgewichten nach Siegen oder nach Leistungen, die über der bisherigen Handicapmarke liegen, verfolgt ja auch den Zweck, die Geldpreise – seien sie nun hoch oder niedrig – einigermaßen gleichmäßig zu verteilen. Die Besonderheit der augenblicklichen Situation liegt nun darin, dass sie irgendwann endet und dann (hoffentlich) wieder Rennpreise in der ursprünglich vorgesehenen Höhe gezahlt werden können. Derzeit kann allerdings niemand sagen, wann genau das sein wird. Würden nun die Aufgewichte halbiert, so würde den siegreichen Pferde für einen zumindest nicht ganz kurzen Zeitraum gegenüber den Geschlagenen ein unverhältnismäßig großer Vorteil eingeräumt.
Es ist nachvollziehbar, dass Besitzer es als Nachteil empfinden, wenn ihre Pferde während der Corona-Einschränkungen für einen Handicapsieg nur 2000 Euro bekommen und sie es durch das dann fällige Aufgewicht später, wenn die Rennpreise wieder angehoben sein werden, gegenüber ihren weiterhin unbelasteten Konkurrenten schwerer haben. Das trifft derzeit aber nicht nur auf die Handicapsieger zu, sondern in ähnlicher Form auch auf Pferde, die jetzt für halbes Geld ein Sieglosenrennen gewinnen. In Anerkennung der besonderen Situation haben die Handicapper aber für die zurückliegenden vier Renntage bereits damit begonnen, die Höhe der Aufgewichte an die untere Grenze des Vertretbaren zu verlegen. Wieviel das genau ist, bleibt jedem Einzelfall vorbehalten.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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