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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Durch die Wand

6. Oktober 2021

„Ein Rennpferd besteht zu 10 Prozent aus Tier und zu 90 Prozent aus Illusionen“. Dieser Satz stammt aus dem Büchlein „Pferderennen“ , das die beiden Autoren Stephan Lebert und Harry Nutt schon vor zwanzig Jahren in der dtv-Reihe „Kleine Philosophie der Passionen“ herausgegeben haben.

Was sie damit sagen wollen ist klar: Jeder, der ein Rennpferd züchtet oder besitzt, träumt von großen Siegen und unterliegt dabei häufig einer beschönigenden, dem Wunschdenken entsprechenden Selbsttäuschung über einen in Wirklichkeit weniger positiven Sachverhalt. Dass im Fall von Torquator Tasso aus Illusionen Tatsachen wurden, gehört allerdings zu den ewigen Mysterien, die in der Vollblutzucht und im Galopprennsport immer wieder einmal vorkommen und die deshalb auch einen Teil der Faszination dieses Sports ausmachen.

Wie konnte man auch nur ahnen, dass jemand wie Paul H. Vandeberg, der ausweislich der Datenbank des Deutschen Galopps seit 16 Jahren in kleinstem Rahmen mit ein oder zwei Mutterstuten Vollblut züchtet und dessen Zuchterfolge vor Torquator Tasso sich auf sieben Siege in Ausgleichen IV beschränkt hatten, plötzlich als Züchter eines Siegers im Prix de l´Arc de Triomphe dastehen würde. So etwas kann es eigentlich nicht geben, und trotzdem ist es geschehen. 24.000 Euro hat Torquator Tasso auf der BBAG-Jährlingsauktion gekostet, auch dies bemerkenswert in einer Welt, in der Jährlinge dutzendweise für Millionenbeträge den Besitzer wechseln. Aber Tellerwäscher-Karrieren sind für Arc-Sieger aus Deutschland ja geradezu eine Voraussetzung, kostete doch Danedream sogar nur 9.000 Euro und auch Star Appeal wechselte für vergleichsweise günstige 60.000 Mark vom Gestüt Röttgen zu Waldemar Zeitelhack, bevor er 1973 bei der Großen Woche in Iffezheim seine große Karriere startete. Außer der Tatsache, dass sie für relativ wenig Geld zu haben waren, eint noch ein weiteres Kriterium die nunmehr drei deutschen Arc-Sieger: Sie waren alle Außenseiter. Die 1197:10 für Star Appeal sind immer noch einsamer Rekord in der jetzt 100-Jährigen Geschichte des Rennens. Auf Danedream gab es 280:10 und auf Torquator Tasso nun 725:10, das ist die dritthöchste Siegquote die es in diesem Millionenrennen je gab.

Es ist offensichtlich, dass Torquator Tasso unterschätzt wurde, zumal ihm der sehr weiche Boden noch entgegenkam. Nach den in diesem Jahr gezeigten Leistungen rangierte er mit einem Pre-Race-Rating von 119 (99,5 kg) unter den 14 Teilnehmern immerhin an sechster Stelle – ein Pfund unter Tarnawa, Snowfall und Chrono Genesis (die als Stuten allerdings noch drei Pfund „in der Hand“ hatten) und zwei Pfund unter Hurricane Lane. Nur Adayar schien mit seinen 127 (103,5 kg) unerreichbar. Es war gewiss die richtige Entscheidung, mit René Piechulek einen Reiter zu verpflichten, der das Pferd genau kennt. Denn Torquator Tasso hat eine Eigenart, die zu kennen wichtig ist und die ihn beim Publikum von Beginn an so beliebt gemacht hat. Er kann gegen Ende eines Rennens, wenn die anderen schon müde werden, noch einmal enorm beschleunigen. Er braucht dazu aber auch jeden Meter der Distanz. Sein Reiter hat das brillant gelöst und ihn auf den letzten 200 Metern, als der Kessel voll unter Dampf stand, nur noch mit den Händen geritten. Wenn sich ein Rennen so entwickelt, kann Torquator Tasso eine Kraft entwickeln, die ihn durch Wände gehen lässt. So ging er auf den letzten Metern noch fast leicht an den Gegnern vorbei und gewann mit einer knappen Länge. Bezeichnend die von Christoph Soumillon auf der Zweitplatzierten Tarnawa gemachte Beobachtung, wonach Torquator Tasso am zweiten Ziel, das etwas mehr als 100 Meter hinter dem ersten steht, schon auf fünf Längen voraus war.

Was ist das Ganze nun wert? Seit einigen Jahren schon ist ein Trend zu immer kleineren Zahlen zu beobachten. Ob das nun daran liegt, dass die Handicapper mit ihren Einschätzungen zu vorsichtig sind, oder ob die Qualität der Pferde tatsächlich zurückgegangen ist, wage ich hier nicht zu entscheiden. Jedenfalls gehören die Zeiten, als ein Arc-Sieger regelmäßig eine Marke von 130 (105 kg) oder noch darüber bekam, schon länger der Vergangenheit an, Trève im Jahr 2013 und Sea The Stars vier Jahre vorher waren die Letzten. Im Vorjahr markierte Sottsass mit 123 (101,5 kg) einen vorläufigen Tiefpunkt, in einem allerdings recht schwachen Arc, in dem die Haupt-Protagonisten Enable und Stradivarius den Höhepunkt ihrer Form schon überschritten hatten. Diesmal war das Rennen deutlich besser besetzt. Tarnawa (Breeders´ Cup Turf), Hurricane Lane (Irish Derby, Grand Prix de Paris, St. Leger), Adayar (Epsom Derby, King George), Snowfall (englische und irische Oaks, Yorkshire Oaks) und Chrono Genesis (Arima Kinen) traten mit beeindruckenden CV´s an. Und sie belegten schließlich in dieser Reihenfolge die Plätze 2,3,4,6 und 7. Es hätte also für die meisten ein Traumergebnis werden können, wäre da nicht der deutsche Spielverderber gewesen, der das Ganze in ein „Schockergebnis“ verwandelte. Das jedenfalls war danach eine gebräuchliche Schlagzeile in den Medien. Wenn so etwas passiert, also ein Underdog die Etablierten schlägt, wird häufig nach einer Erklärung für das Unerklärliche gesucht. Der „Schuldige“ war schnell gefunden: es war der schwere Boden. Auf diesen Vorbehalt ist auch zurückzuführen, dass die internationalen Handicapper recht konservativ zu Werke gegangen sind. Als Referenz diente die Zweite Tarnawa mit ihrer diesjährigen Bestleistung von 120 (100 kg). Danach ergibt sich unter Berücksichtigung der drei Pfund, die der Sieger als Hengst mehr zu tragen hatte, für Torquator Tasso eine neue Marke von 125, also in GAG umgerechnet 102,5 kg. Das ist eine ordentliche Marke, auch wenn ich mir ein Pfund mehr gewünscht hätte, und es ist die höchste für ein deutsches Pferd seit Sea The Moon vor sieben Jahren. Sie ist allerdings noch nicht offiziell, die nächste Weltrangliste erscheint am Donnerstag nächster Woche.

* * *

Die Tatsache, dass das größte Rennen Europas nun innerhalb von zehn Jahren zweimal von einem in Deutschland gezogenen und trainierten Pferd gewonnen wurde, also in ein Land ging, dessen Rennsport seit Jahren ökonomisch am seidenen Faden hängt und dessen Zucht nur klein ist, hat die internationalen Medien stark beschäftigt. Ein passender Vergleich fiel der Racing Post ein, indem sie sagt, Deutschland boxe seit Jahren im Stehersektor erfolgreich in einer für seine Verhältnisse viel zu hohen Gewichtsklasse. Grund hierfür sei die Fixierung der deutschen Züchter auf das Deutsche Derby und den Preis der Diana, der eine Konkurrenzfähigkeit in diesem Bereich herstellt, die auf kürzeren Distanzen nicht vorhanden ist. Ein anderer Grund mag in den kraftvollen alten Stutenlinien liegen, wofür Torquator Tasso ein denkbar passendes Beispiel ist. Er ist ja, obwohl dort nicht gezogen, ein echter Schlenderhaner, auf der Vater- und auf der Mutterseite. Über Adlerflug braucht kein Wort verloren zu werden, aber auch Tijuana ist eine Schlenderhanerin, eine Angehörige der erfolgreichsten deutschen Stutenlinie, die in nunmehr bereits 14. Generation auf die 1894 von Georg von Bleichröder, dem Gründer des Gestüts Römerhof, eingeführte Alveole zurückgeht. Prominentes Mitglied dieser Familie ist neben der Derbysiegerin Asterblüte die überragende Mutterstute Allegretta, die vierte Mutter von Torquator Tasso. Allegretta ist bekanntlich auch Mutter der Arc-Siegerin Urban Sea und damit auch Großmutter von Galileo und Sea The Stars.

 
 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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