Die Welt des Galopprennsports ist ja stark anglophil geprägt. Kein Wunder, denn aus England stammen nicht nur die Vollblutpferde, sondern die Engländer selbst haben dem Rest der Welt erst klarmachen müssen, wie das geht mit den Pferderennen. Und eine überlieferte Szene aus dem alten Hoppegarten, wo zwei Deutsche, die vorher mit einem Engländer gesprochen hatten, weiter zusammen englisch sprachen, nachdem der Engländer weggegangen war, ist auch heute noch denkbar. Auch die Namensgebung der Pferde lehnt sich immer stärker an das Englische an. Vor diesem Hintergrund ist es auch okay, dass das Bavarian Classic so heißt und nicht etwa Bayerisches Zuchtrennen, das heute nur noch ein Schattendasein als Untertitel zum Großen Dallmayr-Preis führt. (Gibt es den Bayerischen Löwen aus Nymphenburger Porzellan, gestiftet von der Bayerischen Landesregierung, eigentlich noch als Ehrenpreis?).
Egal – zählt man das Jahr 2015 mit, als das Rennen in Hannover zum Austrag kam, dann hatte das pferdewetten.de-Bavarian Classic am Sonntag Jubiläum, denn es wurde zum 50. Mal gelaufen, wenn auch nicht immer zu diesem frühen Termin (bis 2015 lag es immer fünf bis sechs Wochen vor dem Derby, nicht zehn, wie jetzt). Ein mit Blick auf das Derby bedeutendes Rennen ist es aber von Anbeginn gewesen, auch in der Zeit vor 2004, als es noch Müller-Brot-Preis oder, noch weiter zurück, Hertie-Preis hieß. Von den 49 Siegern bis 2017 sind 33 auch im Derby gelaufen, fünf haben gewonnen( Athenagoras, Acatenango, Samum, Lucky Speed und Isfahan), vier waren Zweiter und drei Dritter. Wie es um den diesjährigen Sieger bestellt sein wird, kann jetzt natürlich noch niemand sagen. Zuletzt hatten es die Bavarian Classic-Sieger nur auf eine kurze Karriere gebracht: Quasillo konnte nach längerer Pause nur noch einmal herausgebracht werden, Isfahan zweimal (darunter allerdings mit Derbysieg), und zweimal auch Warring States, von dem nach seinem letzten Platz im Vorjahrs-Derby lange nichts zu hören war, bis er auf den „Arc“-Sales im Oktober für 90.000 Euro verkauft wurde, wenn ich mich richtig erinnere nach Katar.
Da mag man dem diesjährigen Sieger mehr Durchhaltevermögen wünschen, um die Klasse braucht man sich weniger Sorgen machen. Das jedenfalls ist mein Eindruck von diesem auch äußerlich imponieren Hengst, der auch sonst alles hat, was zu einem echten Derbypferd gehört: gutes Umfeld, gute Form und nicht zuletzt das richtige Pedigree, in dem es von Größen der Vollblutzucht nur so wimmelt: Sadler´s Wells, Northern Dancer, Mill Reef, Giant´s Causeway. Und Sayonara, Royal Youmzains vierte Mutter, die für mich einmal die am besten gezogene Mutterstute im deutschen Gestütbuch war, und die später auch Mutter eines so großartigen Pferdes wie Slip Anchor wurde, Sieben-Längen-Sieger im englischen Derby.
Was das Können angeht, so wird Royal Youmzain sich mit zunehmenden Distanzen noch zu steigern wissen. Am Sonntag tat er sich ja lange schwer, bis er dann doch noch mit großer Wucht nach vorne kam. Ich werde allerdings immer etwas nachdenklich, wenn in einem Rennen alle Teilnehmer dicht geschlossen ins Ziel kommen, wenn, so wie hier, zwischen dem Ersten und dem Siebten nur drei Längen liegen. Solche engen Ankünfte kommen häufig zustande, wenn es unterwegs kein Tempo gibt, alle zum Schluss noch Reserven haben. Das Tempo war anfangs sehr verhalten, wurde erst später besser und so ist die Zeit von 2:08,91 für die 2000 Meter allenfalls mittelmäßig. Der Sieger im abschließenden Rennen für Sieglose war, um das hier einmal zu erwähnen, mehr als eine Sekunde schneller. Wir Handicapper haben es, was die Beurteilung dieses Rennens nach Kilos angeht, denn auch erst einmal bei den 94 Kilo belassen, die Royal Youmzain schon aus dem Vorjahr mitgebracht hat. Das passt auch recht gut zu Guiri, der mit einer Marke von 92 ins Rennen gegangen war und der jetzt, drei Längen geschlagen, als Siebter auf 91 kg kommt.
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Jetzt ist alles gut. Vergeben alle Mätzchen am Start, vergessen die Kapriolen mitten im Rennen. Seit vorigen Sonntag, seit dem Sieg im G1-Audemars Piguet QE II Cup, Hongkongs mit 24 Mio. HK-Dollar zweitreichstem Rennen, ist der vom Gestüt Wittekindshof im Sauerland gezogener Pakistan Star nicht mehr nur Hongkongs populärstes Rennpferd, sondern auch dessen Bestes. Und auch Trainer Tony Cruz hat jetzt seinen lange andauernden Zwist mit Hongkongs Handicapper Nigel Gray zu Grabe getragen, hat ihm die 30 Pfund verziehen, die Pakistan Star nach seinen beiden ersten, spektakulären Siegen aufnehmen musste. „Der Handicapper hatte wohl doch Recht“, zitierte die „South China Morning Post“ den Trainer, der Gray zunächst als Schuldigen für nachfolgende Niederlagen ausgemacht hatte. Gray hat das Rating für Pakistan Star jetzt von 118 auf 120 (100 kg) angehoben, fürchtet aber, das dem Trainer das jetzt nicht genug sein könnte. Ob genug oder nicht: Zusammen mit dem neuen Sprinter-Star Ivictory ist er damit erst einmal die Nummer 1 in Hongkong.
Man kann die bisherige Rennlaufbahn von Pakistan Star nur mit einer wilden Achterbahnfahrt vergleichen. „Fat, raw, up behind, but quality“, also „rund, ungeformt, hinten höher, aber Klasse“ hatte Hongkongs Auktionschef Mark Richards seinerzeit im Auktionskatalog vermerkt, als sich der damals noch Nina´s Shadow genannte Jährling 2014 in Deauville vorstellte, später kaufte er ihn für 180.000 Euro. Der Jährling muss sich gut entwickelt haben, denn bei der Hongkong-Auktion im Dezember 2015 kostete er seinem jetzigen Besitzer Kerm Din schon sechs Millionen HK-Dollar, also mehr als 600.000 Euro. Er hätte es sogar zum Sales-Topper bringen können, hätte er nicht schon damals einige seiner heute berühmt-berüchtigt gewordenen Unarten an den Tag gelegt: Am Tag vor der Auktion blieb er auf dem Weg zur Rennbahn plötzlich im Tunnel stehen, tags darauf beim Breeze-Up (also der Vorstellung im Renngalopp) musste er stark geritten werden, um den Galopp überhaupt zu Ende zu bringen.
Sein erstes öffentliches Rennen im Juli 2016 war eine Sensation. Er holte einen Rückstand auf, der eigentlich nicht aufzuholen war, für „Youtube“ war es das „verrücktestes Rennpferde-Debüt aller Zeiten“ und wurde dort unzählige Male angeklickt. Beim zweiten Start lieferte er eine Kopie des ersten ab, danach ging es aber los mit der Berg- und Talfahrt. Der Tiefpunkt war am 25. Juni 2017 erreicht, als er in einem Gruppe-III-Rennen als 12:10-Favorit nach 400 Metern einfach stehen blieb. Der Galoppsport kennt wohl Fälle, in denen Pferde am Start stehenbleiben, sich stark versäumen oder nur wenige Galoppsprünge machen. Ein Fall wie dieser, wo ein Pferd mitten im Rennen aufhört, ist mir allerdings noch nicht zu Gesicht oder zu Ohren gekommen. Allerdings erinnere ich mich noch gut an den Wallach King of Boxmeer, der zu Beginn der 2000er-Jahre gleich ein halbes Dutzend Mal am Start stehen blieb und infolge dessen häufig vom Wettbetrieb ausgeschlossen war. Dabei war King of Boxmeer ein gutes Rennpferd, wurde sogar einmal Vierter im Preis von Europa und brachte es auf ein GAG von 95,5 kg.
Da in Hongkong kein Pferd „ohne Wetten“ laufen darf, wurde Pakistan Star erst einmal vom Rennbetrieb ausgeschlossen. Seine Bewährungszeit dauerte mit 245 Tagen sehr lange, auch weil er in den verordneten Proberennen immer wieder einmal rückfällig wurde. Selbst Pferdeflüsterer Monty Roberts, im Dezember 2017 zu Hilfe gerufen, konnte da nicht viel ausrichten. Im Februar wurde er schließlich wieder zugelassen, lief zunächst auch ordentlich, bis er sich am 8. April in der G1-Chairmans Trophy wieder einmal eine Pause gönnte, aus dem Mittelfeld heraus auf zehn Längen hinter das Feld fiel, dann aber wieder loslegte und mit mächtigem Schlussakkord noch auf Platz vier vorstieß. Danach wurde er wieder zum Üben einbestellt, mit viel Wohlwollen ließ man ihn dann für das große Rennen am vorigen Sonntag zu. Das Rennsportpublikum Hongkongs, das mit Pakistan Star in einer Art Hassliebe lebt, feierte ihn nach dem Sieg mächtig. Es hat erst einmal Frieden mit ihm geschlossen. Wer weiß, wie lange.
Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.