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er Begriff des Klassikers lässt sich ja weit fassen und auf so ziemlich alle Lebensbereiche anwenden. Das „kleine Schwarze“, der Freischwinger, King Kong und die weiße Frau, Rindsrouladen, Goethe und Schiller: all das sind Klassiker. Oder, um zum Sportlichen zu kommen, die Flandern-Rundfahrt, Real Madrid gegen den FC Barcelona und – jetzt kommt´s: die klassischen Pferderennen.
Laut Definition sind die Merkmale eines Klassikers lange überregionale Bekanntheit, ein gewisser Traditionswert, hohe Qualität, Einfluss auf die Kultur und einiges mehr, wobei nicht alle Merkmale auf jeden Klassiker zutreffen müssen. Danach ist das Mehl-Mülhens-Rennen mit seinem Vorläufer, dem Henckel-Rennen, zweifellos ein Klassiker. Die Siegerliste reicht immerhin bis 1871 zurück, das englische Vorbild, die 2000 Guineas Stakes, sogar bis 1809. Seit 2004 führt das Mehl-Mülhens-Rennen den Namen „German 2000 Guineas“ im Untertitel. Mit dem Wort „Guineas“ weiß ja heute kaum ein Mensch mehr etwas anzufangen. So erinnere ich mich gut an die Verwirrung des Redakteurs einer Regionalzeitung, vor dem sich im Bericht seines Galoppkorrespondenten über das Spreti-Rennen in Baden-Baden bei dem Satz „Bin Shaddad wurde für 28.000 Guineas auf einer Auktion erworben“ ein großes Fragezeichen aufbaute. Anderntags konnte man in der Überschrift lesen: „Sieger für 28.000 Guiness-Bier gekauft.“
Am Sonntag in Köln-Weidenpesch war es wieder soweit, zum 124. Mal wurde der Meilenklassiker für die Dreijährigen gegeben, zum 32. Mal unter dem Patronat der Mehl-Mülhens-Stiftung. Es war nichts für schwache Nerven. Wie schon im Vorjahr gab es einen Zielfotoentscheid, diesmal aber konnte der Angriff des englischen Favoriten abgewehrt werden. Dabei sah es lange gar nicht gut aus für Poetic Dream. 250 Meter vor dem Ziel war er nahezu Letzter, beschleunigte dann aber auf gefühlsmäßig 70 Stundenkilometer und kam gerade noch an dem Engländer Lockheed und am Stallgefährten Empire of the Stars vorbei.
Seit 1991 ist das Mehl-Mülhens-Rennen international offen, seitdem ist es auch sehr beliebt bei ausländischen Ställen, besonders bei den englischen. In den 27 Entscheidungen seit 1991 kamen 63 Starter aus ausländischen Ställen, 52 davon waren Engländer, die anderen stammten aus Frankreich (6), Irland (2), Dänemark (2) und Norwegen (1). Dabei siegte zehnmal ein englisches Pferd, einmal ein französisches. Die ziemlich hohe Erfolgsrate ausländischer, vor allem englischer Ställe, hängt damit zusammen, dass Rennen über die Meile nicht die Stärke deutscher Rennpferde sind. Zwar sind auch zahlreiche Klassepferde aus Deutschland in der Siegerliste des Mehl-Mülhens-Rennens zu finden, wie Kondor, Turfkönig, Royal Abjar, Lavirco, Tiger Hill, Sumitas, Martillo, Irian oder Lucky Lion, aber die Mehrzahl der Genannten waren gar keine echten Meilenpferde, sondern einfach nur an Klasse ihren Gegnern überlegen. War kein Könner solchen Ausmaßes am Start, ging das Rennen meistens nach England, an ein Pferd zweiter Klasse. Zweimal allerdings schickten die Engländer Pferde ersten Ranges: 1997 war das Air Express, später im Jahr noch Sieger in den Queen Elizabeth II Stakes, und 2011 Excelebration, der beste Mehl-Mülhens-Sieger überhaupt (Rating 127=GAG 103,5).
Ist Poetic Dream nun ein Meilenspezialist? Das wissen wir noch nicht, aber unmittelbar nach dem Rennen war schon von der 2000-Meter-Stecke die Rede, die jetzt angepeilt werden soll. Was seine Klasse angeht, so haben wir ihn vorläufig mit einem GAG von 95,5 kg (Rating 111) ausgestattet. Das liegt eher im unteren Bereich für einen Mehl-Mülhens-Sieger, aber der nur knapp unterlegene Lockheed kam schließlich auch nur mit einem Rating von 108 (94 kg) aus England. Da sind wir erst einmal vorsichtig. Mit seiner neuen Marke liegt Poetic Dream in der Liste der europäischen Guineas-Sieger erwartungsgemäß deutlich hinter Churchill (122) und Brametot (121), aber vor dem Sieger im italienischen Pendant, Anda Muchacho (105). Die irischen Guineas folgen erst an diesem Samstag.
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Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.