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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Von überraschenden Rennausgängen

18. Oktober 2017

Das Schöne an Pferderennen ist ja, dass man nie weiß wie es ausgeht. Wie oft sieht man nicht einem Rennen mit großer Spannung entgegen und wird dann doch enttäuscht, weil Ergebnis oder Rennverlauf - oder beides - nicht den Erwartungen entsprochen haben. Auf der anderen Seite kann ein Rennen, von dem eigentlich gar nicht viel zu erwarten war, plötzlich zu einem Ereignis werden. Ein solches Rennen war der Preis des Winterfavoriten am vorigen Sonntag in Köln. Keiner der neun Starter hatte vorher mehr als ein Rennen gewinnen können, fünf waren sogar noch sieglos. Was sollte da Großes passieren? Und dann passierte doch etwas Großes. Denn als Erasmus mit acht Längen Vorsprung durchs Ziel ging war klar: So einen Zweijährigen hat man schon lange nicht mehr gesehen.

Köln: Preis des Winterfavorit 2017 (Gr. III) - Sieger: Erasmus

Wie soll man diesen Sieg nun einordnen? Da weder Erasmus selbst noch einer der anderen Starter mit einem nennenswerten Rating an den Ablauf kamen, bleibt dem Handicapper nichts anderes übrig, als wieder einmal die historische Perspektive heranzuziehen. Dabei habe ich einmal genau hingesehen, was aus den Pferden geworden ist, die den seit 1899 gelaufenen Preis des Winterfavoriten mit großem Vorsprung gewonnen haben, sagen wir mit fünf Längen und mehr. Vor Erasmus gelang das 12 Pferden, wobei elf dieser überlegenen Siege in die Zeit nach 1960 fallen. (Die Einzige die vorher mit großen Vorsprung – 5 Längen – gewonnen hatte war die berühmte, zweijährig in acht Rennen ungeschlagene Contessa Maddalena.) Wenn ich jetzt die Namen der übrigen elf Pferde einmal aufzähle die den Preis des Winterfavoriten mit mindestens fünf Längen Vorsprung gewonnen haben, wird man sehen, dass Erasmus sich – bis auf eine Ausnahme - in einer Gesellschaft von Elitepferden befindet: Manduro, Sumitas, Turfkönig, Nandino, Lirung, Anna Paola, Bandit, Waidwerk, Dschingis Khan und Amboß. Die eine Ausnahme ist Globus, der 2008 in einem deutlich unterdurchschnittlich besetzten Rennen mit dem Rekordvorsprung von zehn Längen gewann. Klick zur Liste der überlegenen Winterfavoriten.

Elf der zwölf Pferde, die im Preis des Winterfavoriten mit fünf Längen und mehr erfolgreich waren, haben also auch später noch große und größte Rennen gewonnen, zehn haben ihre Handicapmarke noch steigern können, zum Teil deutlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies auch Erasmus gelingen wird, ist demnach ziemlich groß. Deshalb haben wir auch nur kurz gezögert, und Erasmus mit einem GAG von 96 kg ausgestattet, eine für einen Zweijährigen in Deutschland sehr hohe Marke. Traditionell agieren die deutschen Handicapper bei den jungen Pferden sehr konservativ, wofür es gute Gründe gibt. Die höchste jemals für einen Zweijährigen in Deutschland vergebene Marke erreichte Pomellato im Jahr 2007, als er für seinen Sieg in einem Gruppe-II-Rennen in Saint-Cloud 97 kg bekam. Auf 96,5 kg kamen vor nun schon langer Zeit einmal Limbo und Esclavo, sonst waren 96 Kilo das höchste der Gefühle – wie jetzt auch bei Erasmus.

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In England und Irland ist man mit den Zweijährigen weniger zimperlich. Schon früh im März geht es los und Zweijährige, die ein Dutzend Mal oder noch häufiger laufen, gibt es reichlich. Dass aber das Spitzenpferd des Jahrgangs, als den man US Navy Flag jetzt wohl ansehen muss, die Dewhurst Stakes bei seinem zehnten Jahresstart gewinnt, ist wohl doch eine Ausnahme. Die Dewhurst Stakes sind ja so etwas Ähnliches wie der Preis des Winterfavoriten, der Sieger ist häufig Favorit für die 2000 Guineas und oft auch für das Epsom Derby, lediglich die Racing Post Trophy macht hier manchmal Konkurrenz. US Navy Flag kam im Frühjahr nur schwer in die Gänge, gewann erst beim fünften Start zum ersten Mal. Jetzt hat er drei Mal hintereinander gewonnen, sogar das seltene Doppel Middle Park Stakes und Dewhurst Stakes geschafft. Dass Aidan O´Brien den Hengst trainiert versteht sich fast von selbst, er stellte auch die drei Nächstplatzierten. Wenn nichts außergewöhnliches mehr passiert, wird US Navy Flag am Jahresende die Zweijährigen-Klassifikation in Europa anführen. Ein Rating von mindestens 122 (101 kg) deutet sich an, also fünf Kilo höher als für Erasmus.

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„Kleine Geister interessieren sich für das Außergewöhnliche, große Geister für das Gewöhnliche“. 

Das ist ein Zitat des amerikanischen Schriftstellers Elbert Hubbert, und wenn er Recht hat, dann bin ich ein Kleingeist, denn jetzt kommt etwas Ungewöhnliches: Bullards Alley hat am Sonntag das Canadian International gewonnen, Kanadas größtes Rennen. Als 440:10-Außenseiter und mit 10 ¾ Längen Vorsprung! Da fragt man sich, was da passiert sein mag. Vor anderthalb Jahren hat dieser fünfjährige Wallach einmal ein Gruppe-3-Rennen in Kentucky gewonnen, seitdem bei 14 Starts aber nicht mehr viel bewegt. Eine vernünftige Erklärung für diese Leistungsexplosion wird man nicht haben. Der weiche Boden und das vom Brümmerhofer Messi (er endete als Vorletzter) an der Spitze vorgelegte langsame Tempo wurden genannt, aber so etwas oder Ähnliches (z.B. fester Boden und schnelles Tempo) wird ja immer gesagt, wenn es um Formveränderungen geht. Es gibt eben manchmal Sachen im Galoppsport, die kann man nicht erklären, und dieses Rennen gehört wohl dazu. Dabei war es ganz anständig besetzt, mit dabei waren z.B. Vorjahressieger Erupt (Fünfter) und Idaho (Vierter), zuletzt noch Achter im Prix de l´Arc de Triomphe. Nimmt man das Rennen ernst, so müsste jetzt ein Rating von weit über 120 (100 kg) herauskommen, aber ich glaube nicht, dass das geschieht. Vorerst halten sich meine Kollegen mit einer Bewertung noch zurück, lediglich Nigel Gray aus Hongkong ist mit 116 (98 kg) schon aus der Deckung gekommen.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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