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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

"Experten sind sauschlechte Propheten"

17. Januar 2018

Zu Beginn eines jeden Jahres bricht ja immer die Zeit der Zukunftsforscher, Futurologen und Wahrsager an. Alle Welt will wissen, was die Zukunft bringt, oder wenigstens doch das Neue Jahr. Der französische Mathematiker Pierre-Simon Laplace entwickelte zu Beginn des 19. Jahrhunderts sogar eine Art Weltformel, die als „Laplacescher Dämon“ einige Berühmtheit erlangte und nach der es möglich wäre, jeden zukünftigen Zustand der Welt zu berechnen, könnte man nur über alle Daten des Kosmos verfügen. Nun, daraus ist bekanntlich nichts geworden und so müssen wir uns wohl oder übel mit dem vorhandenen Weissagepersonal abfinden, von denen es ja reichlich gibt. Hierzu fiel mir kürzlich ein Artikel des kanadischen Psychologen Philip Tetlock, Professor an der University of California, in die Hände, der zur Frage der prognostischen Kompetenz wahrhaft erstaunliches herausgefunden hat. Über einen Zeitraum von 20 Jahren sammelte Tetlock 27500 Vorhersagen in Bereichen wie Technologie, Wirtschaftsentwicklung, Politik usw. Seine ernüchternde Bilanz: Experten sind sauschlechte Propheten. Je spezialisierter ein Experte in seinem Fach, desto schlechter war seine Prognose. Und je berühmter, umso noch schlechter!

Ich kann das nur bestätigen. Denn ich bin, obwohl doch der eine oder andere in mir einen Experten sieht, bei der Vorhersage eines Pferderennens wirklich schlecht. Das war nicht immer so. Früher, als ich noch nicht Handicapper war, habe ich sogar Tippwettbewerbe der Presse gewonnen und kam auf diese Weise einmal in den Genuss eines Strandurlaubs auf Barbados. Aber mit zunehmender Zeit als Handicapper habe ich die Fähigkeit zur Prognose eingebüßt. Das mag auch daran liegen, dass ich als Ausgleicher nicht mehr wette und seitdem weniger mit dem voraussichtlichen Ausgang eines Rennens beschäftigt bin als mit der Analyse des Ergebnisses.
Trotz Professor Tetlock glauben aber immer noch die meisten an den Experten. Wenn ich zum Beispiel auf der Rennbahn Jemandem, der sich nicht so auskennt, mit meiner Tätigkeit vorgestellt werde, dann weiß ich schon was kommt: „Dann können Sie mir ja gute Tipps geben.“ Ich winde mich dann immer wie ein Aal, denn ich bin für Tipps meist schlecht vorbereitet. Und zugeben, dass ich ein lausiger Tipster geworden bin, kommt nicht in Frage, das verbietet das Selbstwertgefühl. So blättere ich dann nervös im Programmheft, ob nicht doch was zu finden ist, was ich guten Gewissens empfehlen kann. Handicaps überschlage ich sofort, da komme ich mir mit Tipps ja selbst in die Quere. Häufig, je nachdem, empfehle ich dann doch, sich eigene Gedanken zu machen und ein Pferd nach Sympathie zu wetten, weil das mehr Spaß macht. Stimmt ja auch. 

Fragen Sie mich also besser nicht nach dem Derbysieger 2018. Zuletzt, im vorigen Jahr, taten das leichtsinnigerweise einige Freunde, die auf der Suche nach einem „Stellpferd“ für ihre Derby-Dreierwette waren. Ich empfahl Warring States. Oder Northsea Star. Der eine wurde Letzter. Der andere Vorletzter.

* * *

Am vorigen Donnerstag ging auf der Rennbahn von Meydan der erste Renntag des diesjährigen Dubai Carnival über die Bühne. Der letzte, mit dem Dubai World Cup als Höhepunkt, soll am 25. März sein. Im wertvollsten Rennen, der G2-Al Maktoum Challenge, siegte mit Heavy Metal ein alter Meydan-Bekannter mit immerhin schon 54 Starts in den Knochen, er war im vorigen Winter schon einmal mit 6 ½ Längen gegen den von Peter Schiergen trainierten Ross erfolgreich. Diesmal gewann Heavy Metal auf der Sandbahn mit 4 ½ Längen gegen ein so gutes Pferd wie Thunder Snow (Rating 118=99 kg), der Rest folgte weit zurück. Sein bisheriges Rating von 114=97 kg sollte er damit deutlich übertroffen haben, was umso erstaunlicher ist, als dass der Wallach bereits acht Jahre alt ist. Es kommt nicht eben oft vor, dass sich ein Rennpferd in diesem Alter noch einmal steigert, für gewöhnlich zeigt die Formkurve dann nach unten. 

Video: 2018 Al Maktoum Challenge R1 G2 - Sieger: Heavy Metal

In einer 2010 im „Journal of Equine Science“ veröffentlichten Studie mit dem Titel „The Effect of Age on Thoroughbred Racing Performance“ untersuchten die Wissenschaftler Marshall Gramm und Ryne Marksteiner den Einfluss des Alters auf die Leistung anhand von 274 Rennpferden in Amerika, die mindestens sechs Jahre alt waren und wenigstens 45 Starts absolviert hatten. Als Grundlage für die Untersuchung dienten die „Beyer Speed Figures“, in Amerika ein Ersatz für Ratings. Das Ergebnis: Die beste Leistung bringt das Rennpferd im Durchschnitt im Alter von 4,45 Jahren. Ein für die Studie typisches Pferd verbessert sich danach im Alter zwischen zwei bis viereinhalb Jahren in Rennen bis zur Meile um 10 Längen, in Rennen von einer Meile oder mehr um 15 Längen. Über die nächsten fünf Jahre büßt es dann wieder zwischen sechs und neuneinhalb Längen an Können ein.

Ich bin nicht sicher, ob diese Studie auf europäische Verhältnisse übertragbar ist. Aber dass ein Rennpferd auch bei uns mit viereinhalb Jahren auf dem Höhepunkt seines Leistungsvermögens ist, wird kaum auf Widerspruch stoßen. Gleichwohl, wie jeder weiß, geschieht es ab und an, dass ein Vollblüter auch in reifem Alter noch große Leistungen zeigt oder sogar noch einmal zulegt. Als Yavana´s Pace am 11. August 2002 in Köln den G1-Credit Suisse Private Banking-Pokal gewann, war er zehn Jahre alt und erreichte dadurch eine neue Bestmarke von 116 (98 kg). Zusammen mit Alcazar (2005 Sieger im Prix Royal Oak) ist er noch heute der älteste Gruppe-I-Sieger Europas. Lucky Strike und Up and Away halten aus deutschen Rennställen den Altersrekord, sie waren neun Jahre alt, als sie auf Gruppe-3-Ebene siegten. Und als Altano und Toylsome vor einigen Jahren ihre Gruppe-I-Rennen in Longchamp gewannen, waren sie immerhin acht Jahre alt. Kein Gruppe-Rennen, dafür aber mit 12 Jahren in Royal Ascot die Queen Alexandra Stakes gewonnen hat 2008 Carracciola, den einst Peter Rau für das Gestüt Ittlingen trainierte und der später nach England verkauft wurde. Der Lando-Sohn ist damit der älteste Sieger des Königlichen Meetings seit Anbeginn, also seit 1768.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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