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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

127. Longines Großer Preis von Berlin

16. August 2017

Wer in diesen Tagen, so wie ich am letzten Sonntagvormittag, durch das Berliner Regierungsviertel und das Brandenburger Tor in Richtung Alexanderplatz spaziert, für den stellt sich angesichts der enormen Anzahl an Touristen denen er begegnet die Frage, ob denn überhaupt noch Berliner in der Stadt sind. Nun – etwas mehr als Zehntausend davon konnte man am Nachmittag auf dem Rennplatz in Hoppegarten finden, wo sie schon früh den Biergarten in Beschlag genommen und es sich auf der Picknickwiese bequem gemacht hatten. Angesichts des schönen Wetters auch in bester Stimmung, die den ganzen Tag über anhielt. Es wurde ja auch etwas geboten an diesem großen Tag für Hoppegarten, nämlich nicht weniger als die beste Leistung eines deutschen Rennpferdes in diesem Jahr. Jedenfalls nach Meinung von uns Handicappern, denn wir haben Dschingis Secret für seinen Sieg im 127. Longines Großen Preis von Berlin ein GAG von 100 (Rating 120) gegeben.
Die Rechenaufgabe war eigentlich nicht schwierig und hätte vielleicht auch von einem pfiffigen Zweitklässler gelöst werden können: Der mit einer Marke von 99 Kilo ins Rennen gegangene Favorit Hawkbill wurde von Dschingis Secret mit einer Länge geschlagen, und da eine Länge nach der Ausgleicher-Mathematik ein Kilo ausmacht (jedenfalls in den meisten Fällen), wurde ich schon auf dem Rennplatz mehrfach auf das vermutliche Ergebnis hin angesprochen. Aber so einfach ist die Sache auch wieder nicht, denn zum einen zeigt auch ein Hawkbill nicht jeden Tag eine 99-Kilo-Leistung und zum anderen muss eine solche Rechnung ja auch noch zu den nachfolgenden Pferden passen, jedenfalls einigermaßen. Sehr hilfreich war dabei der große Abstand von dreieinhalb Längen (nach meiner Wahrnehmung waren es eher vier) zum Dritten. Das war der als Jahresdebütant nach Hoppegarten gekommene Racing History, ein Pferd, das zwar nicht oft eingesetzt wird, aber auch nach längerer Pause immer gleich mit einer guten Form zur Stelle ist (Worin er seinem Bruder, dem Champion Stakes-Sieger Farhh, ähnelt.) Im vorigen Jahr zum Beispiel belegte Racing History nach einer Pause von einem Jahr gleich einen sehr guten sechsten Platz in den Champion Stakes von Ascot, was 97,5 kg (Rating 115) wert war. So sollte man ihm doch die 96 Kilo (112) zutrauen, die nach unserer Rechnung in Hoppegarten für ihn herausgekommen sind. Dahinter passt dann auch die Marke von 96 Kilo für Colomano.
Hundert Kilo also für Dschingis Secret. Regelmäßige Leser dieses Blogs wissen, dass eine solche Marke Zutritt zum exklusiven Kreis derjenigen gewährt, die als „richtige“ Gruppe-I-Pferde angesehen werden. Nach der aktuellen Weltrangliste gehören derzeit 37 Pferde zu diesem Club. Dschingis Secret wäre der Achtunddreißigste, falls seine neue Marke in der am 14. September erscheinenden nächsten Weltrangliste bestätigt wird. Bis dahin sollte Dschingis Secret aber bereits wieder gelaufen sein. Wahrscheinlich im Prix Foy, der am 10. September in Chantilly stattfindet und der darüber entscheiden wird, ob der Weg des Hengstes zum Prix de l´Arc de Triomphe oder zum Preis von Europa führt. Für den Großen Preis von Baden, eigentlich das logische Ziel für einen Sieger im Großen Preis von Berlin, hat Dschingis Secret bekanntlich keine Nennung bekommen, da man nach zwei deutlichen Niederlagen bei ihm eine Aversion gegen den Iffezheimer Linkskurs vermutet. Übrigens: Guignol, also dasjenige Pferd, das im vorigen November in München ebenfalls gegen Hawkbill und Racing History siegte, Guignol also startete am Sonntag nicht in Hoppegarten, weil er mit Rechtskursen nicht so gut zurechtkommen soll. Also – die Sache geht mich ja nichts an und jeder kann mit seinem Pferd machen was er will, aber es ist doch zumindest schade, dass sich unsere besten Pferde, wir haben ja nicht so viele, auch noch aus dem Weg gehen wegen solcher Dinge.

Dschingis Secret siegt beim 127. Longines Grosser Preis von Berlin
Dschingis Secret siegt beim 127. Longines Grosser Preis von Berlin

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Andrew Beyer, der Erfinder der „Beyer Figures“, die in den Vereinigten Staaten Ersatz für Handicapmarken sind, berichtete einmal, was jemand über die Bedeutung der Zeit beim Pferderennen sagte: „Im Galoppsport zählt nur die Klasse, Zeit spielt keine Rolle. Zeit ist nur wichtig, wenn man im Gefängnis sitzt.“ Selbstverständlich teilt Beyer diese Meinung nicht, und ebenso selbstverständlich auch nicht der Schweizer Uhrenhersteller Longines, weltweit Großsponsor und Zeitnehmer im Pferdesport. Beim Grand Prix Festival am Wochenende in Hoppegarten hatte Longines in Zielnähe einen Pavillon aufgebaut, um seine neue App für das „Longines Positioning System“ vorzustellen.

Dieses moderne Zeitmesssystem wurde ja bereits vor einem Jahr zum Großen Preis von Berlin in Betrieb genommen. Bei den Rennübertragungen aus Hoppegarten kann man seitdem die Positionen und die Zwischenzeiten des Rennens auf dem Bildschirm verfolgen. In meinem Blog vor 12 Monaten, nach dem Sieg von Protectionist, habe ich darüber schon einige Zeilen geschrieben, besonders über die praktische Nutzanwendung. Leider hat sich seitdem nicht mehr viel getan, denn die zahlreichen und zweifellos interessanten Daten verschwinden weiterhin im Nirwana und sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Dies könnte sich durch die neue App jetzt ändern, auch wenn diese vorerst nur für das iPad von Apple zur Verfügung steht, eine iPhone-App soll demnächst folgen. Das System misst und speichert mit großem Aufwand alle nur denkbaren Daten während eines Rennens, also Geschwindigkeit, Position, gelaufene Meter und Zwischenzeiten für alle 200 Meter. Und das nicht etwa nur für das führende Pferd, sondern für jedes einzelne Pferd im Rennen.
Für den Praktiker am wichtigsten sind dabei die Zwischenzeiten (sectional times), denn daraus lässt sich der Verlauf eines Rennens genau ablesen. Rennbahnen, die schon länger über die entsprechende Technik verfügen (und das sind fast alle großen Bahnen im Ausland), geben die Zwischenzeiten meisten für jeweils 400 Meter, manchmal auch für jede 200 Meter bekannt. Damit kann man zuverlässig erkennen, ob ein Rennen zu langsam, überpaced oder ob es gleichmäßig gelaufen wurde und daraus seine Schlüsse ziehen. Dafür ist natürlich ein wenig Grundwissen darüber hilfreich, wie schnell Rennpferde überhaupt laufen, ein Wissen, von dem ich aus Erfahrung sagen kann, dass es bei vielen, auch professionell im Rennsport Tätigen, nur wenig ausgeprägt vorhanden ist. Also zum Beispiel, dass eine Zeit von sechs Sekunden für jede 100 Meter über ganz kurze Distanzen nicht schnell, über mittlere Distanzen schnell und über lange Distanzen extrem schnell ist, wobei natürlich auch noch die Topographie der Rennbahn und die Bodenverhältnisse berücksichtigt werden müssen. Grundsätzlich aber kann aber gesagt werden, dass bei Rennen über nicht ganz kurze Strecken 400-Meter-Zeiten unter 24 Sekunden als schnell gelten können.
Über den Longines Großer Preis von Berlin mit dem Sieg von Dschingis Secret lässt sich ganz grob sagen, dass er nur mäßig schnell war. Wobei es zunächst ein gleichmäßiges Tempo gab, das auf den letzten 800 Metern aber spürbar anzog. Die jeweiligen 400-Meter-Zeiten ab der 2000-Meter-Marke bis ins Ziel lauten 25,53 – 25,56 – 25,58 – 24,48 und 23,40 Sekunden, gemessen am jeweils Führenden, das war meistens Hawkbill. Aber: Nachdem Dschingis Secret in Front gezogen war, legte er die letzten 200 Meter bis zum Ziel in 11,65 Sekunden zurück, die schnellste im ganzen Rennen gemessene 200-Meter-Zeit.

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Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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