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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Rätselhaftes Favoritensterben

30. April 2019

Unter einem „Kiss of Death“ darf man eine im Untergang, wenn nicht sogar im Tod endende Handlung verstehen. Man denke nur an die Gepflogenheiten bei der Cosa Nostra. Im übertragenen Sinne ist es aber auch für ein lila angestrichenes Haus ein Todeskuss, wenn der Besitzer es verkaufen will. Im Galoppsport passierte einmal etwas ebenso Merkwürdiges wie Trauriges, als der amerikanische Jockey Frank Hayes am 4. Juni 1923 in Belmont Park im Sattel der Stute „Sweet Kiss“ zwar siegreich, aber als toter Mann die Ziellinie überquerte – er hatte kurz vorher einen Herzinfarkt erlitten. Es war sein erster und natürlich auch einziger Sieg und er gilt seither in Amerika als „der Tote, der ein Rennen gewann.“ (Ein ähnliches Schicksal ereilte übrigens Jule Rastenberger 1943 in Hoppegarten, er war aber nur Dritter, als er im Ziel tot vom Pferd fiel.)

Aber ich will zur Sache kommen. Am Ostermontag hat die dreijährige Stute Axana in Köln das Karin Baronin von Ullmann Schwarzgold-Rennen gewonnen – und damit möglicherweise einen „Kiss of Death“ für ihre Aussichten auf den Gewinn der German 1000 Guineas am 26. Mai in Düsseldorf erhalten. Denn obwohl das Schwarzgold-Rennen das einzige Gruppe-Rennen im Vorfeld der German 1000 Guineas ist, ist es noch keiner Siegerin gelungen, danach auch den Düsseldorfer Klassiker zu gewinnen. Ja – mehr noch: in den elf Jahren, in denen das Schwarzgold-Rennen in dieser Form gelaufen wird, ist für die Siegerin noch nicht einmal eine Platzierung herausgesprungen. Das beste Ergebnis erzielte noch Beatrice als Vierte.
Was ist da los? Warum versagen alle Siegerinnen aus Köln anschließend in Düsseldorf, obwohl sie dort doch zu den Favoritinnen gezählt hatten? Nun gut, drei der bisher elf Schwarzgold-Siegerinnen seit 2008 sind in den 1000 Guineas gar nicht gelaufen (Peace Royale, Meerjungfrau und Bützje), und 2010 wurde das Kölner Rennen im Anschluss an die 1000 Guineas gelaufen – es bleiben aber immer noch sieben Schwarzgold-Siegerinnen, die es danach in Düsseldorf allesamt nicht in die engere Platzierung geschafft haben. Das kann natürlich alles Zufall sein. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Pause zwischen beiden Rennen nicht selten extrem lang war. In den letzten fünf Jahren mussten mindestens 42, in einem Fall sogar 63 Tage überbrückt werden. Kein ideales Timing.

Da es aber für Alles ein erstes Mal gibt, möchte darauf wetten, dass es diesmal soweit ist und Axana am 26. Mai auch die 1000 Guineas gewinnt oder doch zumindest platziert ist. Ihr Sieg am Ostermontag hinterließ einen so großen Eindruck, dass man sich kaum vorstellen kann, sie in Düsseldorf hinter einem in Deutschland trainierten Pferd zu sehen, zumal weder die Winterkönigin Whispering Angel noch die Henkel Stutenpreis-Siegerin Shalona für die 1000 Guineas eine Nennung haben. Axanas imponierende Vorstellung spiegelt sich in ihrem neuen Rating von 94 kg, ein für die frühe Jahreszeit anspruchsvolles Rating, das sie hoffentlich verteidigen kann. Es ist das zweithöchste Rating, das bisher für eine Schwarzgold-Siegerin vergeben worden ist, nur die ungeschlagene, anschließend aber nicht mehr gelaufene Meerjungfrau hatte 2014 ein halbes Kilo mehr bekommen.

Video: Karin Baronin von Ullman Schwarzgold Rennen (Gr. III), Köln - Siegerin: Axana

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Wenn alle Frauen so reiten könnten wie Sibylle Vogt am Sonntag im Busch-Memorial in Krefeld, dann brauchen sie wirklich keine Erlaubnis. Und dann gäbe es auch keine Diskussionen um den Peitscheneinsatz. (Frau Vogt hätte die Peitsche aber durchaus einsetzen dürfen, um den Drang des Pferdes nach außen zu korrigieren.) Es gibt aus meiner Erfahrung aus mehr als 50 Jahren Rennbahnbesuch zwei Dinge, die überschätzt werden: der Einfluss des Reiters und der Gebrauch der Peitsche. Zwischen einem Championjockey und einem Lehrling liegen nach der Rennordnung maximal fünf Kilo und das trifft es ziemlich genau. Als ich in früheren Zeiten noch Mitbesitzer an diversen, durchaus erfolgreichen Rennpferden war, waren wir immer auf der Suche nach talentierten Erlaubnisreitern (und natürlich auch Reiterinnen, denn ob es jemand nach oben schafft oder nicht ist weniger eine Frage des Geschlechts, sondern der Chancen, die ihr geboten werden, und deshalb halte ich eine Frauenerlaubnis auch für richtig. Aber das nur nebenbei.) Was den Peitschengebrauch angeht, so bin ich in dieser Frage Theoretiker und daher zurückhaltend mit meiner Meinung. Aber ich weiß zum Beispiel von meiner ehemaligen skandinavischen Handicapperkollegin Pam Cordrey, dass Pferde aus Norwegen, wo die Peitsche verboten ist, sich bei Starts in Schweden oder Dänemark öfters einmal steigern. Andererseits möchte ich nicht wissen, wie viele Pferde durch übermäßigen und unnützen Peitscheneinsatz verdorben werden.

Für den Handicapper spielen diese Fragen allerdings nur eine Nebenrolle. Was zählt, ist die Leistung des Pferdes und die war im Fall von Winterfuchs sehr ordentlich. Vom letzten Platz und mit viel Einsatzwillen rang er seine Gegner nieder, auch wenn er dabei recht deutlich von der geraden Linie abwich. 94,5 Kilo (Rating 109) haben wir ihm dafür gegeben, eine Marke, die genau im Durchschnitt der letzten zehn Jahre liegt. Das Busch-Memorial ist in den vergangenen Jahren fast ausschließlich von Pferden gewonnen worden, deren Stärke auf der Meilendistanz lag, so dass der Sieg von Winterfuchs, der wie ein Steher gezogen ist, ziemlich überraschend kam. Man kann sich deshalb gut vorstellen, dass er der erste Busch-Memorial-Sieger seit Next Desert im Jahr 2002 ist, der auch Derbysieger wird. 

Video: Preis der SWK Stadtwerke Krefeld - Dr. Busch Memorial (Gr.III) - Krefeld - Sieger: Winterfuchs

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So wie Winx zuletzt ihre Gegner ausgegangen sind, so geschieht das jetzt auch zwei anderen herausragenden Pferden auf der internationalen Galopperbühne: Altior und Beauty Generation. Der jetzt neunjährige Wallach Altior gewann am Samstag in Sandown Park mit der Celebration Chase sein 19. Rennen in Folge und überholte damit den Langstreckenhürdler Big Buck´s als Rekord-Seriensieger des britischen Hindernissports. Altior ist überhaupt über Hindernisse noch ungeschlagen, seine beiden einzigen Niederlagen kassierte er in National Hunt Flachrennen zu Beginn seiner Karriere. Mitarbeiter der Racing Post haben herausgefunden, dass – was Siegesserien angeht – spartenübergreifend jetzt nur noch ein Pferd aus der Steinzeit des Rennsports vor ihm rangiert. Das ist Meteor, der zwischen 1786 und 1788 in 21 Flachrennen ohne Niederlage blieb. Altior bleibt weiter in Training, so dass die Möglichkeit besteht, den mehr als 200 Jahre alten Rekord zu erreichen oder sogar zu überbieten. Nach Rating ist er natürlich die Nummer eins des britisch-irischen Hindernissports, seine Marke von 175 entspricht nach meiner Umrechnung einem Hindernis-GAG von 110,5 kg.

Mit einem aktuellen Rating von 125 (102,5 kg) ist Beauty Generation zusammen mit Winx und City of Light derzeit die Nummer eins der Galopperwelt. Der sechsjährige Wallach gewann am Sonntag mit der Champions Mile sein neuntes Rennen in Folge, bei der Leistungsdichte in Hongkong eine außergewöhnliche Leistung. Bis zum Rekord des Sprinters Silent Witness, der zu Beginn der 2000er-Jahre in Hongkong in seinen ersten 17 Rennen ungeschlagen blieb, ist aber noch ein langer Weg, zumal jetzt Pläne für einen Start in Japan bestehen. Beauty Generations letzten Sieg muss man gesehen haben, wenn man wissen will, was ein überlegener Sieg ist: Im Jogging-Modus galoppierte der 1:20-Favorit auf der Zielgeraden vor kämpfenden Gegner bis ins Ziel.

Video: FWD Champions Mile (Gr.I), Hong Kong - Sieger: Beauty Generation

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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