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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

Der unbezwingbare Spotttölpel

16. Oktober 2019

In der mehr als zehn Millionen Mal verkauften und mit dem „Buxtehuder Bullen“ ausgezeichneten Roman-Trilogie „Die Tribute von Panem“ fällt dem Spotttölpel, eine Fantasie-Kreuzung aus Spottdrossel und Schnattertölpel, eine symbolträchtige Rolle zu. Im amerikanischen Original heißt der Vogel Mockingjay und wird zum Wahrzeichen der Rebellion gegen die Unterdrückung und zum Sinnbild für die Hoffnung, dass alles möglich ist. In diesem letzteren Sinne könnte der Vogel glatt auch ein Symbol für den Pferderennsport sein.
Die Familie Baum jedenfalls konnte für ihr 2014 im Gestüt Brümmerhof geborenes Hengstfohlen von Soldier Hollow keinen besseren Namen finden als diesen. Denn seine jetzige Besitzerin Steffi Schröder aus Annaburg ersteigerte mit Mockingjay im Oktober 2017 auf Anraten von Lutz Pyritz ihr erstes und auch einziges Rennpferd für nur 5.500 Euro beim Sales & Racing Festival in Iffezheim. Damit hat sie ein Pferd in ihrem Besitz, das in diesem Jahr mit sechs Handicapsiegen bei ebenso viel Starts seine eigene, ungewöhnliche Geschichte schrieb.
Mockingjay soll jetzt in Winterpause gehen. Sechs Siege bei sechs Starts sind eine Saisonbilanz, die man allenfalls bei einem Gruppepferd vermuten darf, nicht aber von einem Handicapper. Ich bin nicht sicher, wann es zuletzt überhaupt einem Galopper in Deutschland gelungen ist, bei sechs Starts ohne Niederlage durchs Rennjahr gekommen zu sein. Acatenango hat es 1985 geschafft. Kamen danach noch andere? Egal – eine außergewöhnliche, nahezu einmalige Leistung bleibt es in jedem Fall. Ich habe an dieser Stelle schon einige Male geschrieben, dass ein solcher Durchmarsch durch die Handicaps eigentlich nur mit einem Pferd möglich ist, das spät debütiert. Je später, desto günstiger sind die Aussichten. Mockingjay lief das erste Mal als Vierjähriger im Juni und kam bei seinen ersten beiden Rennen als Siebter bzw. Vierter auf Leistungen von 46 bzw. 49 kg. Beim dritten Start gewann er in Bad Harzburg sein erstes Rennen gegen derart schwache Gegner, dass er – nach einem vierten Platz in Baden-Baden – mit GAG 52,5 kg im September 2018 in Leipzig sein erstes Handicap gewinnen konnte. In Dresden und Magdeburg kam er danach noch in die Platzierung.
Seine sechs Siege in diesem Jahr verteilen sich auf Hoppegarten (zwei Mal), Baden-Baden, Hamburg, Hannover und Düsseldorf, also alles Rennbahnen ersten Ranges, was eine Gewinnsumme von immerhin 40.040 Euro ermöglicht hat. Charakteristisch bei allen seinen Siegen war ein enormer Kampfeswille, mit dem er jede Niederlage abwendete. Der größte Abstand zum Zweitplatzierten betrug anderthalb Längen, im Übrigen waren es eine dreiviertel Länge, eine halbe Länge, zweimal ein Hals und einmal ein Kopf. Besonders beeindruckte er zuletzt am 3. Oktober in Hoppegarten, als der Gegner schon an ihm vorbeigezogen war, er aber noch einmal wiederkam, um noch mit einer halben Länge zu gewinnen.

Mockingjay siegt unter Filip Minarik in Berlin-Hoppegarten; Copyright: Marc Rühl
Mockingjay siegt unter Filip Minarik in Berlin-Hoppegarten; Copyright: Marc Rühl

Mockingjay ist jetzt bei einem GAG von 79 angelangt. Da er im Frühjahr mit 58,5 kg anfing, bedeutet das eine Steigerung von 20,5 kg innerhalb eines halben Jahres. Der Zufall will es, dass Ricardo, Mockingjays Rivale um den Titel des „Handicappers des Jahres“ (oder sogar „Galopper des Jahres“?), sich in diesem Jahr ebenfalls um genau 20,5 Kilo verbesserte, allerdings bei „nur“ fünf Siegen.

* * *

Die Siegerliste des Pattison Canadian International, eines von sieben Gruppe-I-Rennen in Kanada und am vorigen Samstag auf der Rennbahn von Woodbine/Toronto zum 82. Mal gelaufen, enthält einige prominente Namen. Allen voran Secretariat, der bei seinem Rennbahnabschied im Jahre 1973 mit 6 ¾ Längen gewann, der größte Vorsprung in der Historie des Rennens. Mit Dahlia, Youth, Exceller, All Along und Singspiel siegten danach auch noch andere Pferde von Weltformat. Solche Könner waren in den letzten 20 Jahren nicht mehr dabei gewesen, obwohl bis 2010 noch zwei Millionen Dollar als Preisgeld ausgeschüttet wurden, inzwischen sind es nur noch 800.000 Dollar. Das Rennen ist seit dem Jahr 2000 auch häufig das Ziel für deutsche Galopper gewesen, was auch für die am selben Tag gelaufenen E.P. Taylor Stakes für Stuten gilt. Während im Stutenrennen die deutschen Teilnehmerinnen meist nur hinterherliefen, haben die Hengste in ihrem Rennen nicht selten gute Platzierungen erreicht. Paolini und Simonas wurden Zweiter, Quijano und Seismos Dritter.

Liste der deutschen Teilnehmer am Canadian International und den E.P. Taylor Stakes
Liste der deutschen Teilnehmer am Canadian International und den E.P. Taylor Stakes

Diesmal nun haben Alounak und Durance ihr Glück versucht. Beide wurden Zweite, höchst achtbare Platzierungen, die ihnen vor allem das wettende Publikum nicht zugetraut hatte, denn beide waren nur als Außenseiter ins Rennen gegangen. Beide Prüfungen waren schon einmal stärker besetzt gewesen, im Canadian International liefen sogar nur sechs Pferde. Der Vorjahressieger Desert Encounter gewann in einem engen Finish erneut, zwischen den ersten vier Pferden lag weniger als eine Länge. Das setzt auch den Ratings für den Sieger und die Platzierten gewisse Grenzen, denn Pivoine als Vierter trug eine Marke von 110 (95 kg) an den Start, die er sich als Sieger in einem wertvollen Handicap im Juli in York verdient hat. Ich habe Alounak vorerst auf 96 kg (Rating 112) genommen, das muss aber noch bestätigt werden. Auch Durance konnte ihre Marke verbessern, allerdings auch nicht in einem Maße, wie man es nach einem zweiten Platz in einem internationalen Gruppe-I-Rennen vermuten könnte. Sie stieg von 93 kg auf 94. Kg. Immerhin ist der sportliche Wert des Henkel-Preis der Diana deutlich stabilisiert worden, wie schon in der vorigen Woche durch Satomis ordentliches Laufen im G1-Prix de l´Opera.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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