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Blog: Chefhandicapper Harald Siemen

„Augen auf bei der Berufswahl“

14. August 2019

„Augen auf bei der Berufswahl“ ist eine Ermahnung, die junge Menschen oft zu hören bekommen. Aber vielleicht gibt es manchmal gar keine Wahl, denn die Frage, ob die Berufswahl vererbt werden kann, beschäftigt die Wissenschaft schon lange, ohne bis heute zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen zu sein. Als Nicht-Wissenschaftler braucht man darüber nicht lange nachzudenken, fallen einem doch sofort jede Menge Dynastien von Schauspielern, Literaten, Musikern und Artisten ein, auch die Söhne und Töchter von Ärzten wählen auffallend oft den Beruf eines Elternteils und selbst das Bestattungswesen soll fast ausschließlich in den Händen von Familienunternehmen liegen. Sehr ausgeprägt ist die Familienbande auch auf dem Felde des Galopprennsports, denn jede Rennsportnation verfügt über einen Fundus alter Rennsportfamilien, die über Generationen hinweg Trainer und Jockeys hervorgebracht haben. 

In England gab oder gibt es die Baldings und Piggotts, Chapmans und Arnulls, Australien hat die Moores, Irland die Mullins und in Deutschland kennt man die lange Reihe von Trainern namens Jentzsch, Schütz oder Blume. In Frankreich, um langsam zum Thema zu kommen, steht die Head-Dynastie in vorderer Reihe, aber auch der Name Pantall hat in unserem Nachbarland seit mehr als hundert Jahren einen guten Klang.

Henri-Alex Pantall
Henri-Alex Pantall

Wie die Heads stammen die Pantalls aus England, denn wie man der Website ecuriepantell.fr entnehmen kann, betrat William Pantall 1840 erstmals französischen Boden. Dessen Sohn Henry hatte fünf Söhne, die allesamt Jockey oder Trainer wurden und für ein Fortlebens des Namens Pantall im französischen Rennsport sorgten. Darunter auch René Pantall. Während des letzten Krieges putze er als Kriegsgefangener Pferde in Hoppegarten und lernte dabei Ingeborg Klotz kennen, Tochter des Jockeys Bruno Klotz, der 1919 seine Lehre in Hoppegarten beendet hatte und in den Zwanziger und Dreißiger Jahren ein leidlich erfolgreicher Jockey war, auch auf den Bahnen in Westdeutschland, wo er für große Rennställe wie Rösler, Dilthey und Bresges im Sattel war. Mit Ingeborg Klotz kehrte René Pantall nach Kriegsende in seine Heimat zurück, wo sie heirateten und wo vor 66 Jahren Henri-Alex Pantall geboren wurde, also jener Trainer, der am vorigen Wochenende nicht nur zwei Listenrennen, sondern vor allem mit French King den G1-Longines Großen Preis von Berlin gewinnen konnte. Ein Wiedersehen der besonderen Art also für Pantall, der wissen ließ, dass er noch als Kind häufig bei seiner Hoppegartener Verwandtschaft zu Besuch gewesen ist.

Nachdem French King in großer Steigerung seiner vorhergehenden Leistungen den G2-Carl Jaspers-Preis in Köln und den G2-Großen Hansa-Preis in Hamburg gewonnen hatte, zweifelte niemand daran, dass auch diesmal das kleine Häuflein deutscher Pferde gegen ihn auf verlorenem Posten stehen würde. Die Frage war nur, wie er sich gegen die starken englischen Gäste schlagen würde. Diese Frage wurde mit einem aus deutscher Sicht sehr positiven Ergebnis beantwortet. French King gewann zwar nur mit einer Länge, aber doch weitaus souveräner, als es der Richterspruch vermuten lässt. (Wir haben deswegen auch für den Sieg anderthalb Kilo zugrunde gelegt.) Mit dem aufstrebenden Communique und dem Sheema Classic-Sieger Old Persian platzierten sich dahinter zwei Pferde, die über die anderthalb Meilen-Strecke zu den Schwergewichten zählen. So werden in der Steher-Kategorie der neuesten Weltrangliste nur Crystal Ocean, Enable und Waldgeist vor Old Persian geführt. Allerdings scheint dieser derzeit noch nicht in der Lage, seine aktuelle Marke (101 kg) auch abzurufen, sein Trainer sieht ihn aber auf einem gutem Weg und plant als nächstes einen Start im Großen Preis von Baden (wofür er – wie schon in Hoppegarten – nachgenannt werden müsste). Da auch French King und Communique für Iffezheim genannt sind und es dort auch ein Wiedersehen mit Derbysieger Laccario geben soll, deutet sich hier ein „Rennen des Jahres“ an.

Video: 129. Longines Grosser Preis von Berlin (Gr.I) - Sieger: French King

Die drei deutschen Pferde hielten sich den Erwartungen entsprechend. Noch Mitte der Geraden bestand Hoffnung, aber als es zur Sache ging, trennte sich die Klasse vom Mittelmaß. Ich spreche es nur ungern aus, aber Royal Youmzain und Alounak sind nicht mehr als Gruppe-II-Pferde, von Andoro ganz zu schweigen. Immerhin läuft Royal Youmzain seine Form jedes Mal treu aus und genießt allein deshalb die Sympathien des Handicappers, da er über ihn die anderen Pferde so schön berechnen kann. Auch diesmal wieder. 96 Kilo „kann“ Royal Youmzain und er hat sie wohl auch diesmal wieder gezeigt. Für Communique und Old Persian ergeben sich danach 97,5 (Rating 115) und für French King 99 kg (118). Auch für den Hoppegartener Rennverein ist das ein gutes Ergebnis, denn legt man die Bestleistungen der vier Erstplatzierten zugrunde, so kommt man für den Großen Preis von Berlin zurzeit auf ein Durchschnitts-Rating von 117,5 (98,75 kg), womit das Rennen derzeit deutlich über die für Gruppe I geforderten 115 (97,5 kg) zu liegen kommt.

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Beaupréau ist eine Gemeinde von gut 7000 Einwohner im Departement Maine-et-Loire, 50 Kilometer östlich von Nantes; der Routenplaner gibt an, dass es von dort 1441 Kilometer bis nach Hoppegarten sind. In Beaupréau befindet sich seit 1948 eine vom Herzog von Blacas geschaffene Trainingsanlage, auf der Henri-Alex Pantall nun schon seit Jahrzehnten tätig ist. Seine ersten beiden Starter in Deutschland gehen auf das Jahr 1997 zurück, auch in den danach folgenden Jahren gab es zunächst nicht mehr als zwei bis fünf Starter pro Jahr, und das mit relativ wenig Erfolg. Das änderte sich erst, als Valdoura 2003 im Düsseldorfer Stutenpreis für den ersten Pantall-Sieg in Deutschland sorgte. Siege in Listenrennen für Stuten sind seitdem zu einer Art Markenzeichen für den Franzosen geworden, nicht weniger als 34 weitere Rennen dieser Art hat er seitdem hier gewinnen können. Dazu kommen noch zehn Gruppe 3- und vier Gruppe 2-Rennen und jetzt mit French King auch das erste Gruppe 1-Rennen. Selbst kleinste Prüfungen werden inzwischen nicht mehr verschmäht, wenn es gilt, eine Stute zur Siegerin zu machen, wie das Beispiel Rezia zeigt, die vor zehn Tagen für einen Siegpreis von 1200 Euro aus Westfrankreich nach Bruchmühlbach-Miesau im Landkreis Kaiserslautern in Bewegung gesetzt wurde. Insgesamt hat der Pantall-Stall in den vergangenen 22 Jahren bei 264 Starts auf deutschen Rennbahnen 55 Rennen gewonnen, hinzu kommen noch 65 zweite oder dritte Plätze und eine Gewinnsumme von 1.952.350 Euro.

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Der Große Preis von Berlin wird bekanntlich seit dem Dreikaiserjahr 1888 gelaufen und hat danach sehr schnell die Stellung eines der führenden Rennen im Lande eingenommen. Die Siegerliste gleicht einem Who´s Who des deutschen Rennsports, aber das Rennen ist seit jeher auch ein internationales gewesen, das 17 Mal von Gästen aus dem Ausland gewonnen wurde: Acht Mal von englischen, sieben Mal von französischen und je einmal von einem Pferd aus Italien und Österreich. Und wenn jetzt bei French King von einem Start im Prix de l´Arc de Triomphe die Rede ist, so ist das kein Griff nach den Sternen, sondern ein Unterfangen mit realistischem Hintergrund. Denn immerhin haben schon drei Sieger des Großen Preises von Berlin später auch in Longchamp gewinnen können – Corrida, Marienbard und zuletzt 2011 die großartige Danedream. Nicht zu vergessen Carroll House, der 1988, ein Jahr vor seinem Arc-Sieg, in dem damals in Düsseldorf gelaufenen Großen Preis von Berlin als Erster durchs Ziel ging, wegen Behinderung aber auf den dritten Platz zurückgesetzt wurde – übrigens sehr zu meinem Leidwesen, denn ich hatte einige hundert Mark zum Kurs von 60:10 auf ihn gesetzt.

Der nächste Handicapper Blog erscheint in 14 Tagen während der Rennwoche in Baden-Baden.

 

Deutscher Galopp

Die neue Marke Deutscher Galopp (ehemals GERMAN RACING) bildet die große Dachmarke, unter der spannende Pferderennen und stimmungsvolle Veranstaltungen auf den deutschen Rennbahnen stattfinden. Gleichzeitig fungiert die Marke als Oberbegriff für den Galopprennsport in Deutschland.

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